Warum sich die Jugend wieder politisch engagiert

Warum sich die Jugend wieder politisch engagiert
Was zur Re-Politisierung geführt hat und warum Proteste meist von Frauen ausgehen.

Lange musste sich die sogenannte Generation X, Y oder auch Yolo (You only live once – Du lebst nur ein Mal) anhören, sie würde sich nur um sich selbst kümmern. Lebensmotto: Party, Spaß und Selbstzufriedenheit. Politik galt schlichtweg als langweilig. Das hat sich seit dem Brexit und spätestens seit der Wahl von Donald Trump geändert.

Das zeigte sich vergangenes Wochenende, als weltweit Millionen Frauen auf die Straßen gingen, um gegen den neuen US-Präsidenten und die Politik, für die er steht, zu demonstrieren. Stars wie Madonna, Oprah Winfrey oder Ashley Judd hielten passionierte, kämpferische Reden. Die Bilder erinnern an Massenbewegungen wie die globale Friedensumweltbewegung in den 1960er- und 70er-Jahren oder an die Anti-Atombewegung der 80er-Jahre.

"Trends führen immer zu Gegentrends", erklärt der Politikwissenschaftler Daniel Dettling vom Zukunftsinstitut. "Nach der Globalisierung und Digitalisierung gab es den Gegentrend zu Regionalisierung und Nationalismus – zurück in die alte Zeit." Der ideale Nährboden für Populismus und den Rechtsruck. "Der Brexit war für die Jugend der erste Anstoß, politischer zu werden – weil die Jugend vorwiegend für den Verbleib gestimmt hat und es um ihre Zukunft geht."

Doch wenn es darum geht, Dinge zu ändern, sind Frauen meist die Ersten, die dafür auf die Straße gehen. Dettling zählt etliche Beispiele auf: "In Israel und Russland waren es die Mütter, die ihre Söhne vor den Waffen schützen wollten. Beim Kampf um das Wahlrecht vor 120 Jahren und auch bei der Friedensumweltbewegung. Frauen sind der Seismograf von gesellschaftlichen Veränderungen."

Mutiger

Das erklärt der Politikwissenschaftler damit, dass Frauen sensibler sind, wenn es um einen gesellschaftlichen Rückfall von errungenen Werten, Freiheit und Gleichberechtigung geht – "und sie sind mutiger, dafür einzustehen".

Und auch jetzt, mit der Wahl Trumps und seinen oft frauenverachtenden und rückständigen Ansichten, hätten die Frauen am meisten zu verlieren – Auslöser für die Massenbewegung vergangenes Wochenende. "Dabei können wir inzwischen klar belegen, dass emanzipierte Länder mit einer hohen Gleichberechtigung eine viel höhere ökonomische Leistung erbringen und sogar höhere Geburtenraten haben", erklärt Dettling.

Mithilfe der Sozialen Medien werden Proteste wie diese heute viel schneller verbreitet und erlangen viel mehr Öffentlichkeit. Dettling geht davon aus, dass das Thema vorerst weiter in den Sozialen Medien hochkochen wird. "Die aktuelle Diskussion wird auch eine Aufwertung des Journalismus bringen, der versucht, in Allianz mit der Protestbewegung weiter nachzufragen und kritisch zu bleiben – quasi eine Korrektivbewegung zur sogenannten Lügenpresse."

Eine Zunahme des politischen Engagements, ausgehend von Frauen, konnten auch Katharina Brandl und Therese Kaiser, Obfrauen des Wiener Vereins Sorority, in den vergangenen Jahren feststellen. Die Sorority hat sich der branchenübergreifenden Vernetzung und Karriereförderung von Frauen in Österreich verschrieben – der Begriff der Solidarität dient als Grundlage aller Aktivitäten.

Solidarität

Brandl ist davon überzeugt, dass die Gleichstellung der Geschlechter und das Zerschlagen alter Rollenbilder nur dann möglich ist, wenn das Hauptaugenmerk das große Ganze ist. Geschlechtergerechtigkeit ist dabei für sie ein Querschnittsthema. "Es ist wahnsinnig eindrucksvoll, wie gut das in Hinblick auf den "Women’s March on Washington" und die solidarischen Kundgebungen weltweit funktioniert hat: Frauen und Männer aus unterschiedlichen sozioökonomischen, politischen und feministischen Kontexten sind hier gemeinsam auf die Straße gegangen und haben den kollektiven Protest über ihre individuelle Bedürfnisse gestellt", sagt Kaiser.

Die Proteste würden aber auch klar zeigen, dass die Gleichstellung der Geschlechter weder abgeschlossen, noch Thema von einigen wenigen ist. "Man darf auf keinen Fall vergessen, dass hier noch ein sehr weiter Weg vor uns liegt." US-Präsident Trump reagierte indessen in seiner typischen Manier. "Warum haben die Leute nicht gewählt?", twitterte er spöttisch und erklärte wenig später, dass er den friedlichen Protest als Kennzeichen der Demokratie anerkenne.

Die Bedeutung des Moments war allen Teilnehmern der Women’s Marches klar: "Es war inspirierend, von so vielen Menschen umgeben zu sein, denen die Rechte von Frauen und allen Menschen am Herzen liegen", twitterte etwa Big-Bang-Theory-Star Mayim Bialik. Transparente mit "Frauenrechte sind Menschenrechte" betonten die Einigkeit, auch Männer und Kinder marschierten mit.

Doch in dem wütenden Rap "Nasty Women" (Fiese Frauen) nannte Schauspielerin Ashley Judd auf der Bühne viele Ungerechtigkeiten beim Namen: schlechtere Bezahlung von Frauen, besonders farbigen. Schuldumkehr bei sexuellem Missbrauch. Das berühmte Trump-Zitat, dass er Frauen in den Schritt greift. Die Wut über das Weltbild des neuen Präsidenten einte die Teilnehmer. Doch andere Probleme entzweiten sie. Während die Occupy-Bewegung lobte, dass es bei 300.000 Teilnehmern in Washington keine einzige Verhaftung gab, machte genau das einer schwarzen Aktivistin zu schaffen: "Wenn nur wir demonstrieren, kommt die Polizei mit Tränengas."

Das Hautfarben-Thema kam gleich zu Beginn der Bewegung zur Sprache. Die Ini-tiatorinnen, die pensionierte Rechtsanwältin Theresa Shook aus Hawaii und die New Yorker Designerin Bob Bland, sind weiß und nannten die Demonstration ursprünglich "Million Women’s March", angelehnt an den Großprotest schwarzer Frauen im Jahr 1997. Erst später wählten sie den unverfänglicheren Namen, erklärte das Magazin New Yorker.

Bland forderte in einem "Diversitäts-Statement" von den Teilnehmerinnen, "dass weiße Frauen ihr Privileg bemerken und die Schwierigkeiten von Frauen mit farbigem Gesicht anerkennen" und holte drei nicht-weiße Aktivistinnen an Bord. Doch das reichte manchen nicht: "Schwarze Frauen sind Bürger zweiter Klasse. Punkt", twitterte jemand. In Pennsylvania trat die Marsch-Organisatorin von ihrer Verantwortung zurück, "damit nicht wieder weiße Frauen andere verdrängen".

Interessenskonflikt

Bei aller Harmonie kann so eine Bewegung nicht ohne Konflikte ablaufen. So strichen die Organisatorinnen einen Pro-Leben-Verein von der Unterstützerliste, da im neuen Trump-Amerika besonders für das Recht auf Abtreibung demonstriert wird.

Auch in Wien zeigte sich die Gespaltenheit der Frauenbewegung. Polit-Ikone Alice Schwarzer streitet schon länger mit jüngeren Aktivistinnen über die Kopftuch-Frage: Muss man Frauen davor schützen oder haben sie das Recht auf freie Entscheidung? Jetzt sorgte die geplante Rede der islamischen Vertreterin Carla Amina Baghajati für Aufregung. Dem Vorwurf der Islamophobie widersprach Initiatorin Caroline Kirkpatrick auf Facebook: "Es haben einige Organisationen gegen Baghajati interveniert und das leider auch an sie kommuniziert. Unter diesen Bedingungen fühlte sie sich nicht willkommen. Wir entschuldigen uns dafür."

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