Charlie Hebdo: Drei Täter identifiziert
Frankreich ist heute in sein Herz getroffen worden": Mit diesen Worten beschrieb Frankreichs Premier Manuel Valls jene abscheuliche Tat, die am Mittwoch das ganze Land in Schock versetzt hat. Drei vermummte, schwarz gekleidete Männer hatten gegen 11:30 Uhr die Redaktion der Satire-Zeitung Charlie Hebdo gestürmt und mit Kalaschnikows wild um sich geschossen. Zwölf Menschen starben bei dem Anschlag.
Polizeioperation in Reims
Wer hinter der Tat steckt, hat die französische Polizei offenbar in den Abendstunden herausgefunden: Es soll sich um zwei Brüder um die 30 sowie einen jüngeren Mann handn - das Geschwisterpaar stamme aus Paris, der dritte Täter soll zuletzt in Reims gelebt haben, berichtet die Zeitung Le Monde. Die Zeitung Liberation meldete, dass es sich bei den Tätern um Saïd K. (34), Chérif K. (32) und Hamyd M. (18) handle. Die Verdächtigen sollen Verbindungen zu einer jemenitischen Terrororganisation gehabt haben, Cherif K. war zudem im Jahr 2008 zu 18 Monaten Haft verurteilt worden, weil er dabei geholfen hatte, Dschihadisten in den Irak zu schleusen.
Die Fahndung konzentriert sich derzeit auf die nordostfranzösische Stadt Reims. Die Eliteeinheit "Raid" sei im Einsatz suche dort laut der Agentur AFP nach den drei Männern - die Polizei rief Journalisten an Ort und Stelle zu "größtmöglicher Vorsicht" auf. Der Sender NBC berichtet unter Berufung auf US-Behörden, dass einer der Attentäter erschossen wurde, die anderen beiden in Polizeigewahrsein seien - diese Meldung ist allerdings von keiner offiziellen Stelle bestätigt.
Brutal und professionell
Das Vorgehen der drei Männer soll nicht nur professionell, sondern vor allem äußerst brutal gewesen sein. Es habe sich um regelrechte Hinrichtungen gehandelt, berichten Augenzeugen. Dies zeigt auch die Flucht der Täter: Während der Fahrt blieben sie noch einmal stehen und töteten einen Polizisten - und zwar per Kopfschuss, wie auf einem Video zu sehen ist. Anschließend überfielen sie einen Autofahrer und überfuhren einen Passanten. Danach verliert sich ihre Spur.
"Wir rächen den Propheten"
Der Hintergrund der Tat? Vermutlich ein islamistischer. Charlie Hebdo hat in der Vergangenheit mehrfach mit Mohammed-Karikaturen provoziert, bereits 2011 wurde auf die Redaktion ein Brandanschlag verübt. In einer Video-Aufnahme der heutigen Tat skandieren die mutmaßlichen Täter "Allahu Akbar" ("Gott ist groß"). "Wir rächen den Propheten" und "Wir haben Charlie Hebdo getötet" sollen sie zudem gerufen haben, berichten Augenzeugen - und das angeblich in perfektem Französisch. Unter den Opfern sind die bekannten Zeichner Cabu, Wolinski, Honoré und Tignous sowie der Chefredakteur des Magazins, Stéphane Charbonnier, genannt Charb. Insgesamt verloren acht Journalisten und zwei Polizisten, ein Gast sowie ein Mitarbeiter am Empfang ihr Leben. Elf Menschen wurden verletzt.
Einen "barbarischen Angriff auf unsere Pressefreiheit und damit die demokratischen Werte unserer Republik" nannte der französische Präsident Francois Hollande die Tat. In einer Rede an die Nation ordnete er ab Donnerstag eine dreitägige Staatstrauer an: "Wir müssen wir selbst bleiben, wir müssen uns bewusst machen, dass unsere beste Waffe die Einheit der Nation ist. Nichts darf uns zertrennen."
Tiefe Trauer
In Paris herrscht deshalb tiefe Trauer, in vielen Städten gingen die Menschen auf die Straßen, um ihre Solidarität mit den Opfern zu bekunden. Viele hielten dabei Kugelschreiber und Blöcke in die Höhe - mehr als 100.000 Demonstranten sollen landesweit auf die Straßen gegangen sein.
Weltweit verurteilten Staatschefs und Organisationen den Anschlag, im Netz formierte sich unter dem Motto "Je suis Charlie" ("Ich bin Charlie") breite Solidarität. Auch in Wien wurde demonstriert (mehr dazu lesen Sie hier).
Kundgebungen in aller Welt
Das war ein Anschlag auf das ganze Land", meinte ein schockierter Franzose im Fernsehen. Der Mann hat untertrieben. Die Schüsse von Paris waren ein Anschlag auf die freiheitliche Gesellschaftsordnung, wie sie in vielen Teilen der Welt aufgebaut wurde und wird. Diese baut auf dem Respekt für Andersdenkende, auf der Trennung von Kirche und Staat und der unbedingten Meinungsfreiheit auf. Terroristen, die von Syrien aus ein weltweites Kalifat errichten wollen, kennen das alles nicht. Sie verachten uns und unsere Überzeugungen. Sie kennen nur die Konstruktion eines Gottesstaates, wo alle umgebracht werden, die sich nicht ihrem moslemischen Glauben unterwerfen wollen.
Aus den Morden von Paris eine Kampagne gegen den Islam zu machen, wäre fatal. Im arabischen Nachrichtensender Al Jazeera fragte die Moderatorin die Pariser Korrespondentin, ob das Satiremagazin Charlie Hebdo manchmal zu weit gegangen sei. "Warum?", fragte diese, die Zeitung müsse ja niemand kaufen. Man kann also auch mit dieser liberalen Einstellung für Al Jazeera arbeiten, einen Sender, der dem Emir von Katar gehört.
Gerade nach dieser Bluttat dürfen wir nicht urteilen, ob jemand religiös, Atheist oder Agnostiker ist. Es gibt nur einen Maßstab: Wer tritt für eine offene Gesellschaft mit Meinungsfreiheit ein – und wer ist dagegen. Freilich müssen Zuwanderer islamischen Glaubens wissen, dass sie unsere Errungenschaften akzeptieren müssen, wenn sie hier bleiben wollen. Dazu gehören die Gleichheit und Gleichbehandlung von Mann und Frau ebenso wie Trennung von Kirche und Staat. Als Christ kann man Karikaturen über den Papst oder Jesus Christus widerlich finden, aber Zensur ist der Beginn vom Ende der Freiheit.
Der politische Islam ist der Feind der Freiheit
Und die Moslems müssen Kritik an ihrer Religion aushalten. Wer sofort Verhetzung sieht, wo die Friedfertigkeit des Korans hinterfragt wird, muss eine offene Diskussionskultur lernen. Im vergangenen Sommer hat der muslimische Politologe Hamed Abdel-Samad in einem KURIER-Interview betont: "Innerhalb der politischen Dimension des Islam gibt es keine moderate Bewegung." Und weiter: "Für uns Muslime ist nicht das Opfer maßgebend, sondern der Täter. Wenn dieser muslimisch ist, nehmen wir das hin." Der Ägypter muss sich inzwischen verstecken.
Noch kennen wir die Täter von Paris nicht. Aber es spricht alles dafür, dass radikale Moslems geschossen haben. Auch wenn die Idee eines weltweiten Kalifats völlig irrsinnig klingt, gibt es offenbar nicht nur in Syrien und im Irak Verrückte, die dafür kämpfen. Dagegen müssen wir uns wehren, dagegen müssen sich aber auch alle Moslems wehren, die bei uns leben.
Die Opfer von Paris müssen wir beklagen, ihren Familien gilt unser Mitgefühl. Die einzige Botschaft der Morde kann nur sein, dass die Freiheit einer aufgeklärten, liberalen Gesellschaft nicht selbstverständlich ist.
Die Satirezeitung Charlie Hebdo wurde 1970 gegründet und ging aus dem verbotenen Blatt L'hebdo Hara-Kiri hervor. Der Name „Charlie“ wurde von der Comicfigur Charlie Brown übernommen und verweist auf die Ursprünge im Bereich der Comic-Magazine, „Hebdo“ ist im Französischen eine Abkürzung für „hebdomadaire“ was so viel bedeutet wie Wochenzeitschrift. 1981 wurde das Blatt nach 560 Ausgaben eingestellt, 1992 jedoch wieder belebt.
Von Anfang an gab es für Charlie Hebdo keine Grenzen, Mächtige aus Politik und Wirtschaft wurden genauso aufs Korn genommen wie Sekten, Rechtsextreme oder religiöse Eiferer – egal welcher Glaubensrichtung. Damit handelte sich das Blatt auch einige Klagen ein, unter anderem nach einer bitterbösen Papst-Sonderausgabe.
Hinweis: Magazincover und Karikaturen finden Sie hier auf der Homepage von Charlie Hebdo.
Stéphane Charbonnier
Schon der Stil seiner Zeichnungen und Comics wirkt hart. Charb setzte kräftige Farben ein, seine Figuren waren nur sehr grob gezeichnet, hatten fast immer giftgelbe Haut mit drei picklig wirkenden Punkten auf hässlichen Knollennasen. Auffällig große weiße Augen unterstrichen die insgesamt unsympathische Wirkung der kleinen Männchen.
Islam-Kritik
Die Redaktion mit rund 20 Mitarbeitern (bei einer wöchentlichen Auflage von 140.000 Stück) veröffentlichte bereits 2006 umstrittene Mohammed-Karikaturen. 2011 verübten Unbekannte einen Brandanschlag auf die Redaktionsräume in Paris, Stéphane Charbonnier erhielt Morddrohungen. Zuvor hatte Charlie Hebdo zum Wahlerfolg der Islamisten in Tunesien eine Sonderausgabe mit dem Titel „Charia Hebdo“ herausgebracht.
Im September 2012 sorgte das Blatt erneut mit Mohammed-Karikaturen für Aufsehen. Nach der Veröffentlichung mussten französische Einrichtungen in einigen Ländern aus Sicherheitsgründen zeitweise geschlossen werden. Die Internet-Seite war tagelang von Hackern gestört.
Vor gut zwei Jahren, am 2. Jänner 2013, veröffentlichte Charlie Hebdo dann eine Comic-Biographie von Mohammed ("La Vie De Mahomet"). Islamische Länder, allen voran der Iran, protestierten dagegen.
Kommentare