Papst Franziskus, Superstar

Papst Franziskus, Superstar
Vatikanexperten über den Kurs des Argentiniers. In Glaubensfragen ist er konservativ.

Es lebe Papst Franziskus!", "Wir haben dich sehr gern", "Du bist unsere Hoffnung" – bei den Audienzen am Mittwoch und am Sonntag verwandelt sich der Petersplatz in ein Meer von Spruchbändern.

Wie ein Popstar wird der Papst von seinen Fans, darunter auffallend viele junge Leute, gefeiert. Franziskus selbst hält von seinem Superman-Image wenig und legt Wert darauf, ein "ganz normaler Mensch" zu sein. Der "Franziskus Effekt" ist seit seiner Wahl vor einem Jahr (13. März 2013) in vollem Gange. "Francesco" rangiert unter den beliebtesten Bubennamen in Italien auf Platz eins. Die Souvenirverkäufer freuen sich: Kalender, Schlüsselanhänger, Kugelschreiber, Tassen, Teller mit dem Papst-Konterfei finden trotz akuter Wirtschaftskrise reißenden Absatz.

Touristen-Boom

Rom verzeichnet einen Touristen-Boom, vor allem aus lateinamerikanischen Ländern. Auch die Zahl österreichischer Pilger ist groß. Medial ist der Pontifex omnipräsent. Kürzlich wurde Franziskus sogar als Kandidat für den Friedensnobelpreis nominiert. Auf Facebook zählt der 76-jährige Argentinier zu den meistdiskutierten Persönlichkeiten.

"Franziskus ist extrem medienwirksam. Er ist der Traum aller, die das Image der Kirche und des Vatikans verbessern wollten", sagt Francis Rocca, Leiter des Rom-Büros von Catholic News Service zum KURIER. Während die Kirche bis vor einem Jahr – etwa bei sexuellem Missbrauch – laufend für negative Schlagzeilen sorgte, hätte sich das Blatt gewendet. Der Vatikan hat zudem den Unternehmensberater McKinsey beauftragt, eine "moderne Kommunikationsstrategie" zu entwerfen.

Kapitalismus-Kritik

Sein kollegialer Führungsstil, sein Einsatz für Arme und seine Kapitalismus-Kritik kommen gut an. Seine Treffen mit Kranken und Behinderten, das gemeinsame Mittagessen mit Obdachlosen, seine pastorale Ausrichtung zeugen von Volksnähe. Auch seine spontanen Anrufe, bei denen er sich nach kranken Angehörigen, Prüfungsergebnissen oder Geburtstagen erkundigt, gehören längst zu seinem Markenzeichen. "Papa Francesco" zeigt Kampfgeist und setzt erste konkrete Taten. Obwohl die Mühlen im Vatikan sehr langsam mahlen.

"Das Wichtigste ist sicher der eingeleitete Prozess nach mehr Offenheit im Finanzbereich. Das ist die bisher sichtbarste Reform", sagte Vittorio Bellavite, Koordinator der Reformbewegung "Wir sind Kirche" in Italien dem KURIER. "Franziskus nimmt sich auch struktureller Fragen an. Er streicht Ehrentitel, nimmt eine internationalere Besetzung der Kurie vor und stört alte Seilschaften." Ein Kardinalsrat bereitet die Umstrukturierung der römischen Kurie vor, Planung und Ablauf der Bischofssynoden werden neu gestaltet, die Gläubigen direkt zu Ehe, Familie und Sexualität befragt. Bellavite: "Eine Dezentralisierung von Aufgaben und Entscheidungen an die Bischofskonferenzen ist in greifbarer Nähe, wenn endlich die Ortsbischöfe den Ball aufgreifen."

Jorge Mario Bergoglio stößt mit seinem Erneuerungskurs jedoch auch auf viel Widerstand im Vatikan. "Seine Gegnerschaft verhält sich nach außen hin zwar schweigsam. Aber fundamentalistische Strömungen wie die konservativen Laienorganisationen ,Opus Dei‘ (Anmerkung: bisher die einflussreichste Organisation im Vatikan) und ,Comunione e Liberazione‘ hegen großes Misstrauen", ist Bellavite sicher. Der Papst warnt immer wieder vor Intrigen, Machtspielen und Gerüchten im Vatikan, vor denen auch er nicht gefeit ist.

Positives Signal

Außerdem warte man noch auf ein positives Signal von Franziskus gegenüber fortschrittlichen Strömungen in der Kirche, auch gegenüber Leuten wie Theologe Küng. Zurückhaltend hat sich der Papst bisher bei heiklen Themen wie Frauenpriestertum, Zölibat oder wiederverheirateten Geschiedenen gezeigt. In der Glaubenslehre gilt Franziskus als ähnlich konservativ wie sein Vorgänger Benedikt XVI. "Da dürfte keine Bewegung unter ihm zu erwarten sein. Auch wenn der Papst weise Berater hat, auf die er hört", so Bellavite. So locker und offen sich der Pontifex nach außen präsentiert, ist er streng, wenn es darum geht, unchristliches Verhalten anzuprangern. Das Streben nach Karriere und Wohlstand sowie die Bereitschaft, Kompromisse mit dem Zeitgeist zu schließen, so lautet die päpstliche Warnung, könnten auch Geistliche in "faule Funktionäre" verwandeln.

Als wichtigen Schritt werden Franziskus Bemühungen für ein neues Verhältnis zwischen den Ortskirchen und der Kurie gesehen. Mit der Kurien­reform hat der Papst eine achtköpfige Kardinalskommission beauftragt. Schnellschüsse darf man laut Beobachtern jedoch keine erwarten: "Ein Jahr ist zu wenig, um Resultate zu erbringen. Für Reformen braucht man länger Zeit."

In den kommenden Monaten warten wichtige Termine auf "Papa Francesco". Kurz nach den Osterfeierlichkeiten findet am 27. April die Heiligsprechung der Päpste Johannes Paul II. und Johannes XXIII. statt. Im Mai steht eine Reise nach Israel und Jordanien auf dem Programm. Bei der Bischofssynode zur Familie im Herbst wird man sehen, ob Reformanstöße eine Chance haben.

Wer wissen will, wie Franziskus tickt, was ihn treibt oder bewegt, der sollte beobachten, wie der Heilige Vater seinen Mantel abgibt.

Es ist Dienstag, zwei Tage vor dem einjährigen Jubiläum der Papstwahl. Der Wiener Kardinal Christoph Schönborn gilt als intimer Kenner beider Päpste, des aktiven wie auch des emeritierten. Und weil Schönborn heute Bilanz ziehen darf und ihn an Franziskus dessen Einfachheit fasziniert, bringt er jetzt das Beispiel mit dem Mantel. "Der Papst lebt mitten unter den Menschen. Er wohnt im Gästehaus Santa Marta, geht viel zu Fuß, und bei einer Garderobe stellt er sich in die Schlange."

Genau darum geht es, um "schockierende Authentizität": Der neue Papst habe "höfische Traditionen" über Bord geworfen, die bis dahin als selbstverständlich galten. Er will nicht im Palast wohnen; er will nicht wie ein Kaiser chauffiert werden; und schon gar nicht will er bevorzugt werden, wenn er sich wie alle anderen bei der Garderobe anstellt.

Den Vorhalt, Franziskus habe viele Gesten, aber inhaltlich im Vatikan nicht viel verändert, teilt Schönborn so überhaupt nicht.

Ganz Jesuit, sagt der Wiener Erzbischof, höre das Kirchenoberhaupt lange zu, ehe es entscheide.

Als Beispiel gilt für den Wiener die Reform der Kurie: Sechs Monate habe sich Franziskus in Ruhe beraten lassen. Doch als es dann darum ging, der Kurie ein Amt für Wirtschaft und Administration zu verpassen, habe der Papst binnen einer Woche "klug und schnell" entschieden – wie auch bei der Reform der Vatikanbank, in die Schönborn intensiv eingebunden ist.

Da der Wahltag von Franziskus mit dem Todestag von Franz König zusammenfällt und sich dieser 2014 zum zehnten Mal jährt, wollte Schönborn auch an den beliebten Kardinal erinnern. "König hat versucht, die Gräben, die das Land gespalten haben, zu überwinden. Diese Prägung bleibt."

Dialog und Versöhnung – die von Franziskus und König gelebten Ideale haben sich laut Schönborn mittlerweile auf die Bischofskonferenz übertragen. Vergleichsweise offen bestätigte der Erzbischof gestern, dass unter den Bischöfen ein gänzlich anderes Miteinander gelebt werde. "Das Klima hat sich in den vergangenen Jahren deutlich verbessert", sagt Schönborn. "Die schwierigen 80er- und 90er-Jahre sind überwunden."

Langer Weg

Jorge Mario Bergoglio wurde am 17. Dezember 1936 als Sohn italienischer Einwanderer in Buenos Aires geboren. Bis zu seiner überraschenden Wahl zum Papst am 13. März 2013 war es ein weiter Weg.

Jesuit

Vor seinem Eintritt in den Jesuitenorden (1958) arbeitet er als Chemietechniker. Einige Jahre war er auch als Lehrer für Literatur und Psychologie tätig. Nach dem Theologiestudium folgte die Priesterweihe (1969). Später war er lange Jahre als Pfarrer und Universitätsrektor tätig. Erzbischof 1992 wurde er in der Kathedrale von Buenos Aires zum Bischof geweiht. 1998 wurde er Erzbischof.

Papst

Wir erleben die "Diktatur einer Wirtschaft ohne Gesicht und ohne ein wirklich menschliches Ziel", eine "Wirtschaft, die tötet". Für sein erstes Apostolisches Schreiben erntete der Papst viel Lob, aber auch heftige Kritik.

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