"Das Problem ist die schweigende Masse"
Das ausgebrannte Haus steht wie ein Mahnmal mitten im Dorf. Die zwei afghanischen Familien, die seit einer Woche in dem kleinen Ort in Sachsen-Anhalt wohnen, müssen jedes Mal daran vorbeigehen, wenn sie zum örtlichen Supermarkt wollen. "Sie wissen, was passiert ist", sagt Markus Nierth, der ehemalige Bürgermeister von Tröglitz. "Gekommen sind sie trotzdem." Die zwei Familien wohnen nun bei ihm.
Schande Deutschlands
2700 Einwohner zählt das Dorf, durch das der tiefste Graben in Deutschlands Asylpolitik geht. Unbekannte setzten im April das Asylheim in Brand, dieNPD organisierte Aufmärsche. Markus Nierth zog die Notbremse, trat nach Morddrohungen zurück. Lange stand Tröglitz für den verfehlten Umgang mit Flüchtlingen. Die "SchandeDeutschlands" nannte es die Politik.
Heute sitzt der 45-Jährige im Garten seines Hauses. Hinter ihm wuchern Blumen; drinnen hört man seine Kinder spielen. Seine Frau Susanne gibt gerade Tanzunterricht. Natürlich habe er daran gedacht, wegzuziehen, sagt er mit sächsischem Akzent. Aber so leicht vertreibt man einen wie ihn nicht. Schon gar nicht, seit Flüchtlinge da sind.
Gemeinsam mit einer zweiten Familie aus dem Ort haben die Nierths die Patenschaft für drei Flüchtlingsfamilien übernommen. Ein in Deutschland einzigartiges Modell. Sie gehen mit ihnen einkaufen, erklären ihnen, wie das Leben in Deutschland läuft. Und warum das abgebrannte Haus mitten im Ort steht und wieso es mit Videokameras überwacht wird.
Tröglitz ist kein Neonazi-Dorf, auch wenn in manchen Vorgärten eine Deutschland-Fahne hängt. Aber die NPD ist hier aktiv, wie im ganzen Osten. Sie trägt nur ein unauffälliges Gesicht. Vor Nierths Haus fährt die Polizei regelmäßig Streife, die Familie wird noch immer bewacht.
Nestbeschmutzer
"Viele, die mitmarschierten, kannte ich schon ganz lange", sagt der 45-Jährige. Er erzählt mit klarer Stimme, ohne Verbitterung. Nur Hoffnung hört man nicht aus seinen Worten. Das Problem, sagt Nierth, waren nicht allein die Rechten. "Das Problem ist die schweigende Masse. Wohl die Hälfte davon hatte Verständnis für die Demonstranten."
Die "geistige Brandstiftung" ist auch für Matthias Keilholz das eigentliche Problem. Der evangelische Pfarrer ist für Tröglitz zuständig, wohnt im größeren Nebenort. Gemeinsam mit den Nierths hat er versucht, den Rechten etwas entgegenzuhalten, hat Friedensgebete organisiert. "Nicht wer die Hütte angezündet hat, ist die Frage – das eigentlich Schlimme ist, dass der Brand überhaupt möglich war", sagt er.
Nierth und seine Frau blieben, auch als es ungemütlich wurde. "Viele Leute, die ich gut kenne, grüßen mich jetzt nicht mehr", sagt er, die Enttäuschung steht ihm ins Gesicht geschrieben. Man habe den Spieß umgedreht: Nicht die Unbekannten, die das Haus in Brand gesteckt haben, seien die Übeltäter. "Jetzt sind wir die, die Unruhe ins Dorf gebracht haben", sagt Nierth. "Wir sind für sie die Nestbeschmutzer", sagt er, während er langsam seinen Kaffee trinkt. Dann kommt der Nachsatz. "Dass die Braunen gewinnen, darf nicht sein", sagt Nierth kämpferisch.
Gewöhnungseffekt
Langsam scheint sich Tröglitz jedoch an die neuen Gesichter zu gewöhnen. "Meine Kinder haben mir heute erzählt, dass sie mit den Flüchtlingen spazieren waren – und erstmals angelächelt, freundlich behandelt wurden", sagt der Theologe. Er scheint dabei selbst ein wenig überrascht.
Vor allem zwei seiner Töchter, beide im Teenager-Alter, kümmern sich um die Familien, die nun bei ihnen wohnen. Die Flüchtlinge gehen mit der negativen Stimmung gelassen um. "Die haben Schlimmeres durchgemacht", sagt Nierth. Monatelange Flucht, Verwandte, die vor ihnen starben. "Jetzt lächeln sie die meiste Zeit", sagt Nierth über seine neuen Nachbarn. Sein Gesicht strahlt dabei.
Letztes Wochenende war er mit ihnen am Badesee. "Nach den fünf Monaten, in denen wir nur Schlechtes erlebt haben, macht es endlich Spaß, Gutes zu tun."
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