Mit Bruno Kreisky im Orient

Mit Bruno Kreisky im Orient
Serie Teil 3: Kein anderer Name taucht in Nußbaumers Erinnerungen "Meine kleine große Welt" öfter auf als der des österreichischen Langzeit-Kanzlers.

Irgendwann entdeckt auch Bruno Kreisky meine Nahost-Leidenschaft. Komme ich aus Nahost nach Hause, lässt er mich bisweilen schon am Flughafen ausrufen. Geschieht Furchtbares - etwa der Mord an seinem palästinensischen Vertrauten Issam Sartawi -, treffen wir einander spontan. Seine Wortwahl gegenüber Israel ist nicht die meine, seine nahostpolitischen Ziele aber teile ich weitgehend. Und seine Bitte, gelegentlich Botschaften von hier nach dort mitzunehmen, macht mich natürlich stolz. Erst viel später weiß ich, dass Kreisky als genialer Taktiker natürlich auch diesen Stolz eines Journalisten mit einkalkuliert.

Gardinenpredigt

Gemeinsam fliegen wir mehrmals in den Nahen Osten, im Februar 1977 etwa zum Wahlkongress der Arbeiterpartei Israels nach Tel Aviv. Vor 3000 Delegierten tritt er - ich bewundere seinen Mut - ans Mikrofon; er, dem seit Jahren wegen seiner Palästinenser-freundlichen Haltung der "Verrat am Judentum" angehängt wird. "Ich bin nicht gekommen, um euch zu bitten, mit dem zufrieden zu sein, was ich jetzt sage", beginnt er. Und legt dann los: Es sei nicht Sache der Israelis, zu entscheiden, wer ihr Nachbar ist - so wie auch die Araber nicht entscheiden könnten, ob Israel ihr Nachbar sei. Und es sei auch nicht Israels Sache, zu entscheiden, wer die Palästinenser führe - so wie es nicht in der Entscheidung der Palästinenser liege, wer in Israel die politische Verantwortung trage.
Und noch ein Drittes: Nein, sagt Kreisky den verdutzten Delegierten, es sei auch nicht Sache Israels, zu entscheiden, ob ein palästinensischer Staat überhaupt lebensfähig sei - so wie auch die Araber nicht zu beurteilen hätten, ob Israel ohne Hilfe von außen eigentlich lebensfähig ist.

Golda Meir, Israels "Frau aus Granit", sitzt zwei Klappstühle weiter und denkt gar nicht daran, einen Hauch von Zustimmung zu mimen. Ein einziges Mal wird Bruno Kreisky bei seiner Rede unterbrochen: Als er eben einräumt, sich letztlich doch auch "jener Schicksalsgemeinschaft verbunden zu fühlen, der meine Vorfahren angehört haben", da ruft eine Stimme im Saal: "Nicht nur deine jüdischen Vorfahren, Bruno, auch deine Kinder!"

Es ist, wie sich im Rückblick zeigt, das letzte Mal, dass Kreisky Israel betritt. Nach einer wilden Zeitungsattacke ("Kreisky ist der schmutzigste Jude der jüngeren Geschichte") und aus Sorge vor Demonstrationen wird Jahre später eine geplante Vortragsreise des inzwischen zum Altkanzler gewendeten "Sonnenkönigs" abgesagt. Und bald ist es definitiv: "Mit mir und Israel ist es aus", sagt er enttäuscht am Telefon, "ich will mit diesem Land nichts mehr zu tun haben. Ich werde es nie mehr betreten!"

Anfang Februar 1981 sind wir in Kairo. Kreisky wird - als Zeichen besonderer Wertschätzung - samt Delegation in dem etwas abgewohnten Abdin-Palast untergebracht, in dem sonst nur arabische Monarchen absteigen dürfen. Auch das Gala-Diner wird dort serviert. Noch während der Vorspeise winkt mich Ägyptens Präsident Anwar Sadat - wir kennen einander seit Jahren - über die lange Tafel hinweg zu sich. Er habe doch während des 2. Weltkriegs in britischer Militärhaft auch Deutsch gelernt, flüstert er mir ins Ohr (schon früher hat er mir erzählt, er könne vermutlich besser Deutsch als der aus Nürnberg stammende US-Außenminister Henry Kissinger). Heute Abend wolle er seinem Freund Kreisky eine spezielle Freude machen. Also bittet mich Sadat, für ihn ein paar sehr herzliche, sehr rühmende Sätze über Kreisky und Österreich in Deutsch zu entwerfen - jetzt sofort und auf der Stelle.

Tischrede

Minuten später finde ich mich hinter Schwingtüren in einem Raum, in dem nachtschwarze nubische Diener die Speiseplatten unseres Staats-Diners garnieren. Zwischen klapperndem Geschirr und herrischen Befehlen des Serviermeisters schreibe ich für Sadat eine Passage seiner Tischrede und stecke sie ihm zu.
Stolz hört der Kanzler, wie Anwar Sadat kurz vor dem Dessert mit angenehm dunkler, orientalisch getönter Stimme anhebt, dem "Sehr geehrten Herrn Bundeskanzler und lieben Freund" viel Schönes zu sagen. Was Ägyptens Präsident in diesen Minuten an allen politischen Kontrollinstanzen vorbei über Kreisky und die ägyptisch-österreichische Freundschaft sagt, beeindruckt den Kanzler so sehr, dass er auf dem Heimflug die mitreisenden Journalisten an die so ungewöhnlich herzlichen Worte seines Gastgebers erinnert.

Als Zeichen der besonderen Huld lässt mir Sadat übrigens noch am selben Abend einen versilberten Brieföffner mit graviertem Autogramm ins Zimmer bringen - ich habe ihn jedenfalls nicht als Fingerzeig für einen nun von mir erwarteten rituellen Selbstmord gedeutet.

Schuhwurf

Es ist in dieser Nacht, dass mich zu sehr später Stunde die telefonische Bitte des Bundeskanzlers erreicht, in sein Appartement zu kommen. Dort finde ich Kreisky aufgelöst in Pyjama und Morgenmantel – seine Suche nach einem Lichtschalter, um das Schlafzimmer endlich zu verdunkeln, war erfolglos. Und die Alarmglocke weckt weder einen arabischen Diener noch einen österreichischen Sicherheitsbeamten. Während ich noch nach hilfreichen Geistern suche, hat der Kanzler das Problem auf seine Weise gelöst – und das Deckenlicht im Schlafzimmer mit einem Schuhwurf gelöscht .

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