Kromp-Kolb: "Wir zerstören unsere Lebensgrundlage"

Kromp, Interview
Der CO2-Wert ist so hoch wie seit Millionen Jahren nicht mehr. Warum fehlt der Aufschrei? Klimaforscherin Kromp-Kolb und ihr Mann im Interview.

Rund um das Thema Erderwärmung ist es bei Politik und Medien still geworden. Dabei erregte vor wenigen Tagen eine Nachricht aus Hawaii die Wissenschaft außerordentlich: Am 9. Mai wurde erstmals ein CO2-Wert von über 400 ppm (parts per million) in der Atmosphäre gemessen. Einen solchen Wert dürfte es zuletzt vor etwa drei Millionen Jahren im Pliozän gegeben haben.

Im KURIER-Gespräch spricht die Klimatologin Helga Kromp-Kolb und ihr Mann, der Risikoforscher Wolfgang Kromp, über die Bedeutung der Messung, notwendige Maßnahmen und warum das Thema Erderwärmung die Gesellschaft scheinbar kalt lässt.

KURIER: Warum hat gerade dieses Messung auf Hawaii für Aufsehen gesorgt?

Helga Kromp-Kolb: Das Observatorium in Mauna Loa auf Hawaii hat 1958 mit der Messung der CO2-Konzentration in der Atmosphäre begonnen und damit die längste kontinuierliche Messreihe. Sie zeigt seither einen klaren Anstieg des Treibhausgases. Wobei die gefährliche Schwelle wahrscheinlich bei 350 ppm lag. Dieser Wert wäre notwendig, um die Erderwärmung unter 2°C zu halten. Da liegen wir darüber.

Warum interessiert das kaum jemanden? Nicht einmal die Grünen machten eine Aussendung.

Wolfgang Kromp: Das stimmt ja nicht, dass das niemand interessiert. Die längste Zeit war der Klimawandel nur ein Symptom, die lächerlich wirkenden 0,8 Grad Erderwärmung, die es bereits gibt, merkt ja niemand. Nur betrifft es unsere ganze Ökosphäre, und wie beim Fieber sind da auch 0,8 Grad schon bedenklich für den Verlust der Vielfalt des Lebens auf der Erde. Aber natürlich sorgt man sich vor allem, ob man die Miete zahlen kann, ob man sich Essen leisten kann, Dinge, die im Nahfeld passieren. Und wir verdrängen solche Probleme gerne.

Helga Kromp-Kolb: Wir kümmern uns um die falschen Aspekte, etwa die Finanz- und Wirtschaftskrise. Die ist auch nur Ausdruck dessen, dass wir mit unseren Ressourcen falsch umgehen. Wir übersehen, dass wir unsere Lebensgrundlage zerstören. Wir müssen uns aber auf die Kernfragen konzentrieren. Das sollte eigentlich die Politik machen.

Bei der Klimakonferenz 2009 gab es zuletzt einen weltweiten Fokus auf die Erderwärmung. Was ist dann passiert?

Helga Kromp-Kolb: Da ist nichts rausgekommen, trotz Barack Obama, das muss man so sagen. Für mich war das die letzte Hoffnung, dass die Politik etwas tut. Auch, weil die Zivilgesellschaft erstmals dabei war, Naturschützer, Armutsbekämpfer, jene, die das Geldsystem reformieren wollen, es gab einen Schulterschluss, weil sie begriffen haben, dass sie alle am selben Problem arbeiten. Seither ist klar, dass auf politischer Ebene nichts passieren wird. Das heißt, die großen Reformen müssen auf nationaler Ebene kommen. Das geht nur, wenn es auf lokaler Ebene geschieht und von Einzelnen getragen wird.

Wolfgang Kromp: Das hat wohl auch damit zu tun, dass die Macht nicht mehr bei der Politik, sondern bei den Konzernen liegt.

Helga Kromp-Kolb: Naja, mit mehr Mut und etwas Bereitschaft für mehr Demokratie könnte die Macht schon wieder zurückkehren. Unsere Regierungen tun halt schon lange nicht mehr, was die Bevölkerung eigentlich will.

Denken Sie, die Menschen wissen im Grunde, was sie tun könnten, um zu helfen?

Wolfgang Kromp: Meinen Studenten schlage ich vor, ihren ökologischen Fußabdruck (http://www.mein-fussabdruck.at) anzusehen, dann ihr Kaufverhalten. Jedes Produkt hat einen ökologischen Rucksack, der ist für Gemüse vom benachbarten Bauern klein, für Erdbeeren aus Indien riesig. Gleiches gilt für die Mobilität. Was wir brauchen, ist Anerkennung für ökologisch sinnvolles Leben, nicht für Statussymbole wie Autos.

Helga Kromp-Kolb: Menschen wissen schon, was sie tun können. Aber es kommt ihnen meist zu läppisch vor. Und es ist unbequem: Man muss Gewohnheiten ändern. Wie heize ich, wie viel Warmwasser verbrauche ich, in welchem Ausmaß esse ich Fleisch.

Leben sie beide nachhaltig?

Helga Kromp-Kolb: Auch wir sind weit davon entfernt, aber wir versuchen das schon, ohne völlig aus der Norm zu fallen. Wir meiden das Auto, so gut es geht.

Wolfgang Kromp: Ich fliege überhaupt nicht mehr ...

Helga Kromp-Kolb: Ich fliege schon noch, aber ich überlege mir sehr genau, ob das nötig ist, oder ob das nicht per eMail oder Videotelefonie geht. Innerhalb Europas fahren wir nur mit dem Zug, das ist hervorragend, man verliert weniger Zeit und kann die Zeit perfekt zum Arbeiten nützen. Dann essen wir biologisch, regional, saisonal ...Wolfgang Kromp: Aber ich ärgere mich schon, wenn ich im Bio-Laden den Knoblauch aus China finde. Das ist Unsinn, trotz bio ... Helga Kromp-Kolb: Wir machen schon bei der Vermittlung des Problems einen Fehler. Da müssen wir das Positive in den Vordergrund stellen. Wenn wir den Menschen vorzeichnen könnten, wie ein Leben in einer nachhaltigen Gesellschaft aussehen könnte, würden die meisten erkennen, dass es gut und lebenswert ist.

Wolfgang Kromp: Kürzlich habe ich was Tolles aus Freistadt gehört: Die Gemeinde versucht ja Energie-autark zu werden. Dort lernen schon die Kinder an den Schulen viel über Nachhaltigkeit, und das mit Begeisterung. Dort beginnen die Kinder, ihre Eltern zu erziehen ...Helga Kromp-Kolb: Ja, das brauchen wir unbedingt ...

Wolfgang Kromp: Kinder, die von ihren Eltern mit den großen Försterautos in die Schule gebracht werden, bitten sie, einige Gassen vorher auszusteigen, damit sie sich nicht vor ihren Freunden genieren müssen, weil die Eltern so einen Spritfresser fahren. So etwas gibt Hoffnung. Helga Kromp-Kolb: Nicht nur an den Schulen ... Warum nicht auch beim neuen Bundesheer das Thema Nachhaltigkeit behandeln? Wenn wir den jungen Männern etwas über gesunde Ernährung und Nachhaltigkeit beibringen könnten, hätten wir einen wichtigen Schritt getan.

Wolfgang Kromp: Wie toll wäre das, wenn sich junge Burschen nicht damit brüsten, wie viel PS ihr Auto hat, sondern wie klein ihr ökologischer Fußabdruck ist ...Helga Kromp-Kolb: Oder gleich beim Kennzeichen der Autos hinschreiben, wie viel CO2 das Auto ausstößt. Wolfgang Kromp: Das wäre auch bei Nahrungsmitteln gut, wenn drauf steht, wie groß der ökologische Fußabdruck des Produktes ist. Helga Kromp-Kolb: Oder bei der neuen Transparenzdatenbank, wenn man den ökologischen Fußabdruck hineinnimmt. Vor wenigen Tagen waren wieder die „Erdgespräche“, da waren 770 junge Menschen in der Hofburg, die alle begeistert und voller Ideen sind, was man tun kann. Dieses Potenzial muss man entfesseln.

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