Karnevals-Knigge für Flüchtlinge: "Küssen ist nicht flirten"
Auf dem Bild, das im Kurs "Karneval für Anfänger" herumgereicht wird, sieht man einen Mann, der einer Frau an die Brust fasst. "Das hat keinen Erfolg – gibt aber riesigen Ärger!", steht daneben.
120 Flüchtlinge sitzen in dem Kurs, den die Kölner Caritas im Vorfeld des Karnevals organisiert hat. Sie sollen lernen, was sie in nächster Zeit erwartet – und wie sie sich zu verhalten haben: Bis zum Aschermittwoch erklären schließlich Tausende bierselige, kostümierte Jecken der deutschen Korrektheit den närrischen Krieg.
"Kontrollierte Ekstase"
"Exzess" und "Unanständigkeit" sind die beiden Begriffe, mit denen der Berliner Ethnologe Wolfgang Kaschuba das Treiben im Rheinland beschreibt. "Es wird getrunken, geschunkelt und gebützt, wie die Kölner sagen" – Frauen verteilen Küsschen, meist auf die Wange, hie und da auch auf den Mund. Man darf hinter der Maske übergriffig sein, so das Motto der Narren; was im Karneval passiert, zählt nicht. "Das ist eine kontrollierte Ekstase, bei der die Frauen die Regeln vorgeben", sagt Kaschuba bei einem Gespräch mit Auslandsjournalisten.
Diese sexuelle Komponente ist es auch, die den Verantwortlichen Sorge bereitet. Wegen der Übergriffe zu Silvester ist man doppelt vorsichtig, im ganzen Rheinland werden in Flüchtlingsheimen Broschüren verteilt, die Kurse der Caritas sind gut besucht. "Gewalt ist tabu", heißt es in einem Flyer, den die Stadt Mainz auf Arabisch und Englisch in Umlauf brachte, in Mönchengaldbach warnt man, dass "schunkeln und bützen nicht sexuell" gemeint seien. Auch in Bonn ist man deutlich: "Sexuelle Annäherung ist nicht erlaubt. Frauen und Männer müssen immer einverstanden sein. Nein heißt Nein."
Nur in Köln ist man zurückhaltender. "Der Umgang ist sehr locker, Freundlichkeit und Respekt sind oberstes Gebot", heißt es höflich im Flyer des Festkomitees; von Übergriffigkeiten ist nicht die Rede. Die Stadt selbst hat keine Broschüren verteilt – möglicherweise wegen des Shitstorms, in den die Oberbürgermeisterin wegen ihrer "Armlängen"-Aussage geraten ist.
Schmale Trennlinie
Kaschuba hält die Broschüren für Nicht-Deutsche jedenfalls für vernünftig. Allerdings, so sagt er, sollte man sich nicht nur auf Flüchtlinge konzentrieren:. "Es gibt in jedem Jahr zahllose Übergriffe", sagt er – und die kämen meist nicht von Fremden. "Die Frage ist Jahr für Jahr, wo das Spiel endet und wo sexuelle Belästigung anfängt."
Für diese Fälle hat die Polizei Rückzugsräume für Mädchen und Frauen eingerichtet; auch Bodycams – Kameras an der Kleidung – setzt man ein. Man wolle "den Schaden wiedergutmachen, den das Sicherheitsgefüge an Silvester leider genommen hat", so die Stadt Köln.
Kaschuba zählt auf die Kölner selbst. "Die Zivilgesellschaft wird dafür sorgen, dass nichts Großes passiert", sagt er. "Die Kölner wollen sich das Feiern ja nicht verbieten lassen."
Kommentare