Katastrophenhilfe 2.0

Satellitentelefone sind in Katastrophengebieten begehrt. Im Bild: Haitianer mit Geräten von "Telekommunikation ohne Grenzen".
Tweets, SMS und Co. erleichtern die Einsatzplanung – bis sie überhand nehmen

225.557 Flüchtlinge halten sich laut UNO Flüchtlings-Hilfswerk UNHCR im Südsudan auf. Das sind fast so viele Menschen wie Graz Einwohner hat. Von oben sieht das beeindruckend aus. Andreas Papp von Ärzte ohne Grenzen klickt sich auf einer Tagung von Hilfsorganisationen durch Satellitenaufnahmen. Die Bildreihe beginnt 2002 und endet 2013. Das „Refugee Camp“ schwillt vor seinen Augen und denen der Zuschauer von einigen verstreuten Punkten zu einem riesigen schwarzen Fleck an, auf dem zehntausende Menschen leben müssen.

Die Daten liefern Erdbeobachtungs-Satelliten. Hilfsorganisationen wie Médecines Sans Frontières nutzen sie, um die Versorgungslage einzuschätzen. Papp, der im Sudan, Irak, Somalia und im Libanon Erfahrungen gesammelt hat, kann aus den Karten die Größe der Bevölkerung und die Besiedelungsdichte berechnen, außerdem erkennt er, wo es in der Gegend Grundwasser gibt, wo noch gebohrt werden muss oder wo bereits Brunnen vorhanden sind. „Das ist vom Hauptquartier aus steuerbar“, sagt Papp. Humanitäre Hilfseinsätze ähneln zunehmend militärischen Einsätzen.

Dazu passt die Verwendung unbemannter Drohnen zu Aufklärungszwecken. Matthias Schmale von der Internationalen Föderation der Rotkreuz- und Roterhalbmond-Gesellschaften spricht von „Fingerspitzengefühl. Solche Einsätze sind heikel in Ländern wie Pakistan, wo die Menschen schlimme Erfahrungen gemacht haben“. Um Informationen aus Gebieten zu bekommen, die von der Außenwelt abgeschnitten sind, sei diese Technologie unerlässlich. Schmale erläutert Vor- und Nachteile der Hilfs-Technologien:
Auf den Philippinen besitzen 99 Prozent der Menschen ein Handy. Als im Vorjahr ein Taifun die Insel traf, konnten sich die Bewohner durch ein automatisiertes Frühwarnsystem in Sicherheit bringen.

Nach dem jüngsten Erdbeben in Japan setzte die lokale Twitteria 177 Millionen Botschaften ab – an einem Tag. Diese enthalten zwar für die Helfer wichtige Angaben, aber wer sichtet diese Meldungen? Und wer garantiert, dass sensible private Daten nicht weiter verbreitet werden? „Es gibt Dilemmata, mit denen wir leben müssen“, sagt Schmale.

Alte Medien

Als nach Hurrikan Sandy das Mobilfunknetz in den USA zusammenbrach und das Internet nicht funktionierte, griffen Helfer auf ein altes Medium zurück. Sie produzierten ein Bulletin (Auflage: 24.000 Stück) und verteilten es. Anderes Beispiel: Jeder Japaner hat ein Handy. Aber nicht alle besitzen ein Smartphone. Die Alten informieren sich über das Radio. Auch das Verteilen von Satellitentelefonen macht zusätzliche Arbeit, „wir müssen sie im Auge behalten und wieder einsammeln“, sagt ein Helfer.

An der Tatsache, dass die Wahrheit das erste Opfer des Krieges ist, hat sich nichts geändert. Schmale berichtet vom Syrien-Krieg: „Eine Gruppe Flüchtlinge hat sich zu uns durchgekämpft. Einige sagten, in dem Gebiet, aus dem sie kommen, säßen Zivilisten fest. Andere meinten, nein, dort seien nur Rebellen.“

Fazit: Die Qualität der durch neue Technologien gewonnen Information hält mit dem Volumen nicht immer mit. Nur weil etwas getwittert werde, sei es nicht wahr, sagt Schmale.

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