"Venedig ist kein Disneyland"

Demo in Venedig gegen den Massen-Tourismus
Am Samstag gab es einen Massenprotest gegen den Bevölkerungsschwund und den Touristenansturm.

Während der Touristenansturm stetig zunimmt, sinkt die Einwohnerzahl in Venedig: Neuer Tiefststand, weniger als 55.000 Einwohner.

Vom echten Leben ist in der "Serenissima" (der "Heiteren") nichts mehr zu spüren. Horrende Wohnungspreise zwingen seit vielen Jahren die Leute aufs Festland zu ziehen. Gegen diesen fortschreitenden "Venexodus" haben am Samstag Tausende Venezianer in der Lagunenstadt protestiert. Organisator Matteo Secchi von Venessia.com hat der Stadtverwaltung einen Forderungskatalog präsentiert, mit dem man Venedigs Probleme in den Griff bekommen möchte. Dem Bürgermeister von Venedig, Luigi Brugnaro wird von Kritikern vorgeworfen, dass er – wie auch schon seine Vorgänger – Venedig dem Ausverkauf preisgibt.

Die Zahl der Ferienwohnungen und "Bed & Breakfast"-Unterkünfte in der Lagune müsste stark eingedämmt werden. Venedig darf "nicht nur ein Disneyland für Touristen" sein, fordert Secchi: "Wir brauchen mehr Sozialwohnungen, um Jugendlichen eine Zukunft in der Stadt zu sichern. Zudem sollten mehr Arbeitsplätze außerhalb der Tourismusbranche geschaffen werden."

Vermieter profitieren

Viele Venezianer profitieren allerdings davon. Sie vermieten ihre Wohnungen zu saftigen Preisen an Touristen, während sie selbst in Mestre auf dem Festland in einer Billigwohnung leben. Mit einer Ferienwohnung kann man pro Monat locker zwei- bis dreitausend Euro verdienen. Das ist auch der Grund, warum im Winter ganze Straßenzüge in Venedig geschlossene Fensterläden haben.

Zu Spitzenzeiten tummeln sich täglich bis zu 130.000 Touristen in der Lagunenstadt. Pro Jahr kommen zwischen 15 und 30 Millionen Besucher in die Stadt, die meisten davon sind Tagesgäste. Der Besucheransturm erreichte über Allerheiligen einen neuen Höhepunkt. Bürgermeister Brugnaro, seit 2015 im Amt, will nun eine Touristensteuer einführen, eine Art Tagesgeld für Touristen, die mit der Dauer des Aufenthalts sinken soll.

"Am Abend ist es wie am Jahrmarkt, auf den Straßen dröhnt laute Musik aus den Verstärkern. Überall liegt Müll, den die Leute einfach wegwerfen. Das macht keine Freude mehr," sagt Barbara R., die seit zehn Jahren in Venedig lebt. "Doch viele Venezianer profitieren von den Touristen, auch wenn sie sich beklagen. Es geht immer nur um skey, skey, skey (Geld auf venezianisch). Natürlich, wenn die Touristen dann hier sind, ist es unangenehm, aber Hauptsache, die Kassa stimmt. Geld ist das Thema in Venedig", ist die Wahl-Venezianerin pessimistisch, dass der Ausverkauf der Stadt gestoppt werden kann.

Keine Bäckereien

Für Einheimische wird es immer schwieriger, ein normales Leben zu führen. Wo früher eine Bäckerei, eine Fleischhauerei, ein Lebensmittelgeschäft, ein Schreibwarengeschäft untergebracht war, finden sich chinesische Taschenläden und Souvenirshops. Am Canal Grande wichen in den vergangenen Jahren Büros, Lagerhäuser und Arztpraxen zahlreichen Luxushotels.

Hinzukommen die Umweltverschmutzung und die Bauschäden durch die Kreuzfahrtschiffe. Ein 2013 erlassenes Verbot für große Schiffe und eine Obergrenze ist seit Ende 2015 wieder gekippt.

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