Nicht zusehen, wie Menschen ertrinken

Nicht zusehen, wie Menschen ertrinken
Ein Heer von jungen Freiwilligen versorgt Bootsflüchtlinge. Dabei sind sie selber arm.

Ich kann in ihren Gesichtern lesen, dass meine Arbeit sinnvoll ist," sagt Simona. Mit Ärzten und Sanitätern gehört die 27-jährige Studentin zu den 3300 Freiwilligen, die den Flüchtlingsansturm auf Sizilien zu bewältigen versuchen. Seit Jahresbeginn sind bereits 17.000 Menschen auf der Insel gelandet. Die meisten sind dann auf eigene Faust weitergereist.

"Wir können nicht zusehen, wie diese Menschen ertrinken," sagt Eduardo Falcone. Der 22-jährige Medizinstudent empfängt die Flüchtlinge im Hafen von Catania. Dort werden sie erstversorgt. Simona arbeitet als Mediatorin und schaut darauf, dass Familien nicht auseinandergerissen werden. Eduardo war vor zwei Wochen dabei, als die 27 Überlebenden der Schiffskatastrophe mit 900 Toten in Catania landeten. "Ein Bursch, vielleicht 14 Jahre alt, kam ohne Schuhe an und konnte sich kaum bewegen. Aber er hat gelächelt." Simona wischt sich eine Träne weg. Eduardo sagt, dass die Helfer immer besser organisiert seien. Anders als im August 2013, als er beim Roten Kreuz angefangen hat: Damals seien viele Flüchtlinge nach der Ankunft in der Hitze kollabiert und haben sich die bloßen Füße auf dem heißen Asphalt verbrannt. Die Hilfsorganisationen Caritas, Rotes Kreuz und andere haben einen Radldienst eingerichtet: Wenn sich ein Boot aus Lampedusa ankündigt, sind sie da.

Europas größtes Flüchtlingslager

Sizilien im Frühsommer 2015. Auf dem Ätna liegt noch Schnee, in der pittoresken Altstadt von Catania flanieren die ersten Touristen. Auch in Portopalo di Capo Passero, am westlichsten Zipfel der Insel, fahren Touristenbusse in den Hafen. Hier befindet sich ein Schiffsfriedhof. Kaputte Boote liegen an der Mole. In diesen haben Hunderte Flüchtlinge die gefährliche Überfahrt aus Nordafrika gewagt. Auch das gilt es zu besichtigen.

In Sizilien prallen gerade zwei Welten aufeinander – Ferien-Feeling und Flüchtlingstragödien. Auf der Insel befindet sich Europas größtes Flüchtlingszentrum Mineo Cara. 3200 Afrikaner und Pakistaner warten hier auf den Abschluss ihres Antrags auf Asyl, überwiegend junge Männer, nur 200 Frauen und 50 Kinder waren am Donnerstag registriert, als unsere Caritas-Reisegruppe das Zentrum besichtigen durfte.

Die 404 Reihenhäuser haben die Amerikaner für ihre Soldaten gebaut, der NATO-Stützpunkt wurde 2010 geschlossen. In der Hauptstraße stehen mehrere Polizeifahrzeuge und ein Rettungswagen. In die Nebengassen dürfen wir nicht gehen. Die Stimmung sei gut. 500 Mitarbeiter, darunter Psychologen, Italienischlehrer und Juristen, arbeiten hier.

70 Prozent der Asylbescheide werden positiv abgeschlossen, 30 Prozent sind negativ. Die Italiener schieben nicht ab und registrieren nicht so genau. Simona sieht viele Flüchtlinge nie wieder, sie sind weitergereist.

Neben dem Hauptbahnhof von Catania gibt es eine Mensa, in der Freiwillige täglich Frühstück ausgeben und mindestens 450 Abendessen-Portionen zubereiten. Hier darf jeder gratis essen. Auch viele Sizilianer. Sizilien wurde von der Krise schwer getroffen.

Die Mittelschullehrerin Chiara Grifo kommt mit dem Auto vorbei und bringt eine riesige Portion Nudelsalat. Sie sagt: "Ein Teil, wahrscheinlich die Minderheit, ist mit den Flüchtlingen solidarisch. Aber Sizilien ist arm, wir fühlen uns ausgegrenzt auf allen Ebenen."

Klaus Schwertner von der Caritas Wien bringt es auf den Punkt: "Wir müssen unsere Betroffenheit in mehr Menschlichkeit umwandeln. Betroffenheit allein wird kein einziges Leben retten. Dann kann man sich den schwierigen Fragen stellen, auf die es keine einfachen Antworten gibt."

Am Samstag sind in Lampedusa 220 Bootsflüchtlinge angekommen. Simona und Eduardo warten auf sie in Catania.

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