Copilot informierte Lufthansa über Depression

Andreas L. gab als Flugschüler Auskunft über Erkrankung. Gerüchte über Video aus Unglücksmaschine.

Mehr als überraschende Wende eine Woche nach der Germanwings-Katastrophe mit 150 Todesopfern in den französischen Alpen: Die Verkehrsfliegerschule der Lufthansa wusste während der Ausbildung des Copiloten Andreas L. von einer vorausgegangenen Depression. In einer E-Mail habe der damalige Flugschüler 2009 im Zusammenhang mit der Wiederaufnahme seiner Ausbildung die Verkehrsfliegerschule über eine „abgeklungene schwere depressive Episode“ informiert. Das teilte die Lufthansa am Dienstagabend mit.

Unmittelbar nach Auswertung des Voice-Recorders und Bekanntwerden der wahrscheinlichen Absturzursache – der Co-Pilot hatte den Airbus A320 vermutlich absichtlich in die Alpen gesteuert – hatte die Lufthansa- und Germanwings-Führung nur erklärt, dass es eine Unterbrechung der Flugausbildung des Andreas L. aus medizinischen Gründen gegeben habe, über die sie nichts sagen dürften. „Im Anschluss wurde dem Co-Piloten die erforderliche ärztliche Flugtauglichkeit bestätigt“, hieß es damals wie heute.

Hausdurchsuchungen bei L. ergaben seither, dass er mehrfach in Behandlung gewesen sein dürfte und am Tag des Unglücks krankgeschrieben war, also gar nicht hätte fliegen dürfen.

Das heizt die Diskussion an, ob eine Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht die Germanwings-Katastrophe hätte verhindern können.

Vorhersage schwierig

Der Präsident der deutschen Bundespsychotherapeutenkammer, Rainer Richter, lehnt eine Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht ab. „Schon jetzt sind Ärzte und Psychotherapeuten befugt, die Schweigepflicht zu durchbrechen, wenn sie dadurch die Schädigung Dritter verhindern können. In Fällen, in denen es um Leben und Tod geht, sind sie dazu sogar verpflichtet“, so Richter. Das Problem sei „die grundsätzliche Schwierigkeit, bei einem Menschen die Absicht, sich und insbesondere Dritte zu schädigen, verlässlich zu erkennen“. Eine Jahre zurückliegende Behandlung einer Depression lasse eine Vorhersage einer späteren Suizidgefährdung nicht zu.

Ilja Schulz, Präsident der deutschen Pilotengewerkschaft, spricht sich klar gegen eine Lockerung der Schweigepflicht aus: „Wenn mein Arzt von der Schweigepflicht entbunden ist, werde ich ihm gegenüber kein Problem ansprechen, weil immer Angst vorm Fluglizenzentzug mitschwingt. Bei Schweigepflicht, kann der Arzt echte Hilfe anbieten.“

Der Arbeitsrechtsexperte des deutschen Arbeitgeberverbandes, Thomas Prinz, fordert eine Lockerung der Schweigepflicht bei psychischen Problemen von Arbeitnehmern in sicherheitsrelevanten Bereichen.

Video aus dem Airbus: Falsch?

Copilot informierte Lufthansa über Depression
epa04686462 A bulldozer clears a path to the crash site near Seyne-les-Alpes, France, 30 March 2015. European investigators are focusing on the psychological state of a 27-year-old German co-pilot who prosecutors say deliberately flew a Germanwings plane carrying 150 people into a mountain. EPA/CLAUDE PARIS / POOL
Der schwer zugängliche Absturzort kann seit Dienstag über einen eigens gebauten Fahrweg erreicht werden. Die Bergung der Toten wurde bereits beendet, Wrackteile werden weiter gesammelt. Gefunden wurde laut Bild und Paris Match ein Video aus der Unglücksmaschine, das stark verwackelt chaotische Szenen an Bord zeige. Es belege, dass die Passagiere an Bord gewusst hätten, in welch verzweifelter Lage sie sich befanden, berichteteBild. In mehreren Sprachen sei der Ausruf "Mein Gott" zu hören. Der Zeitung zufolge ist die Szenerie an Bord chaotisch und völlig verwackelt, einzelne Personen seien nicht identifizierbar. Die Echtheit des Videos sei unzweifelhaft. Die Marseiller Staatsanwaltschaft sagte, eine Reihe gefundener Handys werde ausgewertet. Die Gendarmerie hat inzwischen dementiert, dass es ein Handyvideo gibt. Entsprechende Berichte des Magazins "Paris Match" und der "Bild"-Zeitung seien "vollkommen falsch".

Die Germanwings-Katastrophe bedeutet nicht nur unfassbares Leid für die Angehörigen der Opfer. Der Absturz dürfte auch viele Millionen kosten. Versicherer reagieren mit hohen Rückstellungen. Die Allianz rechnet mit Kosten für die Versicherer von bis zu 300 Millionen Dollar (278 Millionen Euro). Bei der Summe handle es sich um eine vorläufige Schätzung, hieß es. Der endgültige Betrag könne sowohl darüber als auch darunter liegen. Die Allianz als Hauptversicherer der Maschine habe diese Summe aber zunächst festgelegt und zurückgestellt.

Den Hauptteil der Zahlungen machen die Entschädigungen für die Hinterbliebenen aus. Zudem geht es um die Kosten für den zerstörten Airbus, für die Bergung und für die Betreuungskräfte.

Das Geld werde von einem Versicherungskonsortium bereitgestellt, in dem die Münchner Allianz eine führende Rolle spiele, sagte ein Sprecher der Lufthansa. Die Allianz wollte sich zunächst nicht äußern. Auch der US-Konzern AIG, der zu den Versicherern gehört, lehnte einen Kommentar ab. Swiss Re erklärte nur, dass sowohl Germanwings als auch die Lufthansa Kunden des Rückversicherers sind.

Die Airline zahlt aus

Bei Flugzeugunglücken zahlt die Airline das Geld an die Angehörigen aus. Die Fluglinien sind aber versichert. Für die Allianz ist der Germanwings-Absturz bereits das vierte Unglück in kurzer Zeit: Auch bei der vor Indonesien abgestürzten Air-Asia-Maschine und den beiden Unglücken der Malaysia Airlines im vergangenen Jahr war sie Hauptversicherer.

Nach dem Absturz einer Air-France-Maschine im Juni 2009 über dem Atlantik mit 228 Toten hatte ein Richter die Airline dazu verurteilt, den Hinterbliebenen jeweils 140.000 Euro zu zahlen. Diese Summe dürfte später noch erhöht worden sein.

2002 prallten über dem Bodensee eine Tupolew-Passagiermaschine und ein Frachtflugzeug zusammen. Alle 71 Insassen starben. Deutschland und die Schweiz zahlten je zehn Millionen Dollar in einen Entschädigungsfonds ein. Einige Angehörige erhielten im Zuge eines Vergleichs Geld aus dem Pool. 2009 verurteilte ein Gericht die Linie Bashkirian Airlines zu Schadenersatz. Sie musste den Familien von 30 Kindern je 15.700 Euro zahlen.
2000 starben beim Absturz der Concorde in Paris 113 Menschen. Rund 700 Angehörige erhielten von der Air-France-Versicherung insgesamt etwa 173 Millionen Euro Schadenersatz.

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