"Sie waren doch noch Kinder"

Große Trauer vor dem Joseph-König-Gymnasium in Haltern bei Münster: An Bord der Unglücksmaschine waren 16 Schüler und zwei Lehrer.
Reportage: Deutsche Stadt Haltern trauert um 16 Schüler und zwei Lehrer, die bei dem Flugzeugunglück starben.

Mittags hat man sie nach Hause geschickt. Am Nachmittag aber kommen sie wieder. Erst sind es nur zwei, bald sind es zwanzig, am Ende ein paar Dutzend. Schüler und Schülerinnen des Joseph-Konig Gymasiums in Haltern. Sie nehmen sich in die Arme, halten sich an den Händen. Viele weinen.

Dann stecken sie Kerzen an. Ein paar auf dem steinernen Tischtennistisch, der auf dem Schulhof steht, noch viel mehr vor dem Eingang zum Schulgebäude, der an diesem Tag von einem Mannschaftswagen der Polizei versperrt wird. "Irgendwie", sagt ein junges Mädchen, "kann man gar nicht begreifen, was da heute passiert ist.

"Unterricht beendet"

Die sechste Stunde ist vorbei, da tönt die Stimme von Oberstudiendirektor Ulrich Wessel aus der Lautsprecheranlage der Schule. Der Unterricht sei für heute beendet, sagt er, aber das sei kein Grund zur Freude. "Es ist etwas Schlimmes passiert". Die älteren Schüler ahnen, was er damit meint. Sie haben schon gehört vom Absturz der Germanwings-Maschine. "Und natürlich war bekannt, dass unser Spanisch-Kurs an diesem Tag zurückkommen sollte", sagt Jan, der in ein paar Wochen Abitur machen will.

16 Burschen und Mädchen und zwei Lehrer waren vor einer Woche nach Llinars del Vallés bei Barcelona aufgebrochen, um sich zu revanchieren für einen Besuch der Spanier im Dezember. Seit sechs Jahren schon gibt es diesen Austausch.

Wie ein Lauffeuer verbreitet sich die schreckliche Nachricht auf dem Schulhof. "Viele haben geweint", sagt Jan, denn: "Irgendeinen aus der Gruppe hat jeder gekannt." Kurz keimt Hoffnung, die Reisegruppe habe den Flieger verpasst, habe auf den Nachmittagsflug umgebucht. Aber seit zehn Uhr am Morgen gibt es keine Internet-Nachrichten mehr von der Gruppe. "Das klingt jetzt vielleicht komisch", sagt Dustin. "Aber dann weißt du, es ist etwas passiert." Notfallseelsorger sind gekommen, um zu trösten, wo es keinen Trost gibt.

Am Nachmittag wirkt die Stadt wie gelähmt. Niemand lacht, keiner lächelt, alle kennen nur ein Thema. "Schlimm", sagen sie beim Bäcker, "entsetzlich" in der Eisdiele. Eine ältere Dame steht vor einem Zeitschriftenhandel und telefoniert. "Ja, schrecklich ist das. Kinder. Sie waren doch noch Kinder."

In der direkt neben dem Gymnasium liegenden Alexander-Lebenstein-Realschule ist der für diesen Tag angesetzte Elternsprechtag abgesagt worden. Einige Eltern sind noch vor Ort, in ihren Gesichtern nur Leere. In Kleingruppen stehen Lehrer auf den Treppen vor dem Hauptportal. Sie sprechen nicht, sie schauen nur. Ins Nichts. "Ich darf gar nicht daran denken, was die Eltern der verunglückten Kinder jetzt durchmachen", sagt eine Mutter. "Es muss wie ein Alptraum sein, der nie mehr endet."

Trauer in der Kirche

Eine Gruppe Mädchen geht langsam vom Schulhof, man hält sich gegenseitig im Arm. "Wir gehen jetzt alle rüber in die Kirche am Markt", sagen sie. Kurzfristig hat die St. Sixtus-Gemeinde für die Schüler aus ihrer Kirche einen Trauerraum gemacht. Auf dem Weg hinüber in die Innenstadt sprechen die Schülerinnen über ihre Mitschüler, mit denen sie nie wieder eine Pause verbringen können, über ihre Lehrerinnen, das unendliche Leid der Familien. In der Kirche hat Kaplan Thorsten Brüggemann den jungen Leuten einen "Ort der Stille" geschaffen, an dem sie trauern können, ohne beobachtet zu werden. "Bis die Stadt dieses Unglück verarbeitet hat, das wird dauern.

Nebenan beginnt derweil die Pressekonferenz von Bürgermeister Bodo Klimpel. Sichtlich angegriffen spricht er vom "schwärzesten Tag in der Geschichte unserer Stadt" und von einem "Schockzustand, der überall zu spüren ist". "Das ist so ziemlich das Schlimmste, was man sich vorstellen kann."

Auch in der spanischen Kleinstadt Llinars del Vallés hat sich tiefe Trauer ausgebreitet. "Die Familien der spanischen Schüler hatten ihre deutschen Gäste am Morgen zum Bahnhof gebracht", sagte der Sprecher der Stadtverwaltung, Josep Aixandri, der dpa. "Von dort fuhren sie mit der Bahn zum Flughafen von Barcelona." Die spanischen Schüler stünden "wie unter einem Schock. Wir haben versucht, ihnen Trost zu spenden", sagte Aixandri.

Der Text wurde von der deutschen WAZ zur Verfügung gestellt, ergänzt durch die dpa

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