Fall Maria: Eltern offenbar jetzt ausfindig gemacht

Ein Roma-Paar verkaufte ihr leibliches Kind angeblich um 250 Euro in Griechenland.

Der Fall des in der Vorwoche in einer griechischen Roma-Siedlung entdeckten blonden, etwa fünf bis sechs Jahre alten Mädchens Maria scheint aufgeklärt zu sein. Die Behörden im Nachbarland Bulgarien machten in der Stadt Nikolaewo offenbar die leiblichen Eltern der Kleinen ausfindig: Das Roma-Paar Sascha und Anatas Ruseva soll das Kind im Jahr 2009 in Griechenland verkauft haben. Laut Medienberichten hat Sascha Ruseva danach ihren Nachbarn freimütig erzählt, dass sie ihre Tochter für umgerechnet 250 Euro den neuen Eltern überlassen hat – angeblich fehlten das Geld für die Rückreise und Dokumente.

Fall Maria: Eltern offenbar jetzt ausfindig gemacht
Two of the children of Roma woman Sasha Ruseva, 38, (not pictured) rest inside their home in Nikolaevo, southern Bulgaria October 24, 2013. Ruseva, believed to have given birth in a hospital in central Greece in January 2009 to the blonde girl named Maria, found during a police sweep in a Roma settlement in central Greece on October 16, was questioned by Bulgarian police, state television said on Thursday. "I do not know whether she is mine or not. We had a child. We left it in Greece as I had nothing to feed her," Ruseva told reporters. "I did not take any money. My daughter left with a man, so there was no one to look after the other children." REUTERS/Stringer (BULGARIA - Tags: SOCIETY CRIME LAW POVERTY)
Die bulgarische Mutter sagte vor der Polizei aus, sie wisse nicht, ob es sich bei Maria tatsächlich um ihre Tochter handle, es gebe aber tatsächlich „Ähnlichkeiten“. Medienberichten zufolge hat das Paar zwischen acht und zehn Kinder, von denen fünf blonde Haare haben und dem „Findling“ sehr ähnlich schauen. Jetzt wurde ein DNA-Test angeordnet. Die bulgarischen Behörden ermitteln wegen Kindesaussetzung.

Verdachtsfall in Irland

Auch in Irland sorgt ein Roma-Fall für Schlagzeilen. Weil sie wegen ihrer hellen Haut ihren Eltern nicht ähnlich sehen, haben die irischen Behörden zwei Roma-Familien Kinder weggenommen. Der Fall sorgt im Land für Empörung. Ein siebenjähriges Mädchen musste zwei Nächte in einer staatlichen Pflegeeinrichtung verbringen, ein zweijähriger Bub eine Nacht. Als DNA-Tests zeigten, dass die Kinder sehr wohl zu den Familien gehören, wurden sie zurückgegeben.

Die Behörden hatten eine Siebenjährige aus dem Haus ihrer Familie in Tallaght, Dublin, geholt. Beteuerungen der Eltern, es handle sich um ihre leibliche Tochter, schenkten die Beamten keinen Glauben. Gegen die Familie gab es keine Verdachtsmomente, teilte die Polizei mit. Das Mädchen sei körperlich gesund.

Der zweijährige Bub wurde seiner Familie in Athlone in den Midlands weggenommen. In beiden Fällen wurden die Eltern verdächtigt, die Kinder entführt zu haben, weil diese sich mit ihren blonden Haaren und blauen Augen extrem von ihnen unterscheiden.

Die meisten Behausungen der Roma-Siedlung am Rande der zentralgriechischen Kleinstadt Farsala gleichen rostenden Schiffscontainern. Draußen toben spielende Kinder, drinnen drängen sich die Erwachsenen mit besorgter Miene um die TV-Geräte. „Im Fernsehen nennen sie uns Roma, aber in der Stadt draußen beschimpfen sie uns als Zigeuner und spucken auf uns“, schildern sie einer Gruppe griechischer Reporter.

Die Roma von Farsala fürchten, dass sie nun noch öfter die Wut und Ablehnung ihrer Umgebung zu spüren bekommen werden, nachdem die kleine, blonde, mittlerweile weltberühmte Maria aus ihrer Siedlung geholt worden war. „Sie sagen, wir stehlen, wir entführen sogar Kinder. Das ist eine riesige Beleidigung für uns“, schimpfte Farsalas Roma-Führer Babis Dimitriou in die laufenden Kameras. Alle Roma in Griechenland würden jetzt in Sippenhaft genommen, glaubt er, zumindest so lange nicht einwandfrei bewiesen sei, dass Maria nicht entführt wurde.

Roma als Kinderverschlepper – dieses uralte Vorurteil geht absurderweise auf ein Unrecht zurück, das einst den Roma zugefügt wurde. „Unter Kaiserin Maria Theresia wurden den Roma-Familien die Kinder weggenommen, um sie fern von daheim einzuschulen“, schildert Barbara Liegl, Politologin am Ludwig Boltzmann Institut. „Doch die Familien wollten das nicht. Und wenn sie dann kamen, um ihre Kinder wieder heimzuholen, hieß es: Versteckt die Kinder, die Zigeuner kommen.“

Ressentiments

Ein Spruch, der sich über Jahrhunderte hielt. Und nur eine von vielen Stereotypen („faul, heimatlos, kriminell“), die mit der bis zu zwölf Millionen Menschen zählenden und damit größten Minderheit Europas in Verbindung gebracht wird. Diskriminierung und Hass gegenüber den Sinti und Roma fanden ihren Höhepunkt, als die Nazis nahezu eine halbe Million von ihnen ermordeten.

Heute leben die Roma über ganz Europa verteilt, die Mehrheit von ihnen jedoch in Südosteuropa – unter meist elenden Bedingungen. Von Ostrava in Tschechien bis Belgrad, vom slowakischen Kosice bis Bukarest leben Millionen Familien in Slumsiedlungen am Rande der Städte. Müllberge türmen sich, Wasseranschlüsse sind die Ausnahme, bei Regen versinken die ungeteerten Straßen im Schlamm. In Kosice zogen die Stadtväter eine Mauer zur Abgrenzung gegen die Roma hoch. Andere Städte überlassen die Slums mitsamt ihren Bewohnern, ihren Papphütten und halb kaputten Wohnwägen einfach sich selbst. Wer hier lebt, stirbt zehn Jahre früher als der Durchschnittseuropäer. Und hat fast nie Arbeit.

Teufelskreis

Zwischen 80 und 90 Prozent der osteuropäischen Roma sind ohne Job. Wer zudem nie ein Schule besuchte, wie viele erwachsene Roma noch heute, hat kaum Chancen, sich je aus dem Teufelskreis von Armut und Not zu befreien.

In ihrer Not sehen viele im Auswandern ihre einzige Chance – wie die kosovarische Roma-Familie Dibrani. Zusammen mit ihren fünf Kindern ließen sich die Dibranis in Ostfrankreich nieder, schickten ihre Kinder in die Schule und lebten unauffällig – bis Frankreichs Polizei die 15-jährige Leonarda und ihre Familie gegen den Protest Tausender Schüler wieder in den Kosovo abschob.

Tausende Roma, viele von ihnen mittlerweile EU-Bürger, werden jährlich aus westlichen EU-Ländern in ihre alte Heimat zurückgebracht. Mit einer Rückkehrprämie ausgestattet gehen viele auch freiwillig – nur um kurz darauf wiederzukehren.

EU: Aktionsplan

Hier nicht willkommen und dort nicht erwünscht – dieses Schicksal von zwölf Millionen Menschen mitten in Europa hat die EU auf den Plan gerufen. Vor zwei Jahren verabschiedeten die EU-Mitgliedsstaaten für jedes Land einen eigenen nationalen Aktionsplan – doch tief greifende Verbesserungen sind noch lange nicht zu erwarten.

Ungarische Roma dürfen etwa seither nur noch mit staatlicher Hilfe rechnen, wenn sie die auch vom Staat vorgegebene Sozialarbeit leisten – haben damit aber noch lange keinen richtigen Job. Kroatische Roma-Kinder gehen zwar in die Schule, meist aber nur in reine Roma-Klassen – und erhalten dort wiederum nur qualitativ schlechte Ausbildung. Und ein osteuropäischer Regierungschef liebäugelte gar mit der Idee, Roma-Kinder aus ihren Familien zu holen und sie in Internaten zwangseinzuschulen. Erst dessen Roma-Beauftragter winkte ab: Geht gar nicht.

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