"Diese Leute haben keine Bürgererziehung"
David Fowler ist Jugendforscher an der renommierten Cambridge-University. Die Ereignisse in Großbritannien beobachtet er mit Fassungslosigkeit.
KURIER: Wer sind diese Leute, die da Großbritannien derzeit auf den Kopf stellen?
David Fowler: Das scheinen zum Großteil schlecht ausgebildete und vor allem am Krawall interessierte Leute zu sein.
Was treibt diese Menschen an?
Da steht nichts dahinter. Da geht es einfach darum, die Kontrolle über die Straße zu haben. Es geht um Fantasien. Machtfantasien - von Menschen, die augenscheinlich keine Macht in der britischen Gesellschaft haben. Diese Leute plündern Charityläden. Die haben keine Empathie. Die Frage ist: Wie kann man ihnen Empathie nahebringen? Diese Leute haben keine Bürgererziehung. Kein Bekenntnis zur Gesellschaft, in der sie leben.
Das hatten die Punks früher aber auch nicht.
Die Punks waren eine kreative Rebellion. Die haben ihre Wut und ihren Frust vor allem über Kunst zum Ausdruck gebracht. Ich glaube, dass diese Hip-Hop-Kultur eine sehr zerstörerische Wirkung hat. Also ich meine diesen "50-Cent-Hip-Hop". Millionäre, die sich nicht kümmern, wer ihre Platten kauft. Wenn Kreativität von irgendjemandem aufgegriffen wird, dann gibt es auch eine Chance für diese Leute .
Lassen sich diese Leute reintegrieren?
Durch kreative Jugendarbeit - ja. Kriminelle Akte müssen bestraft werden, aber zugleich muss Kreativität aufgefangen werden. Ich denke nicht, dass junge Menschen nur auf Konsum aus sind. Was sie brauchen, ist Hoffnung. Güter geben keine Hoffnung. Macht Musik, macht, worin ihr gut seid. Diese Leute aber wurden buchstäblich aus der Gesellschaft gekickt - aus Schulen oder ihren Jobs.
Wer sind ihre Idole?
Das wissen wir nicht. Das findet alles in einer virtuellen Welt statt. Wir kennen nicht einmal die Sprache dieser Jugendlichen oder ihre Codes. Das ist beinahe so wie bei der deutschen Kodiermaschine Enigma. Kommunikation über Blackberry - wir wissen nicht, was da besprochen wird und worum es geht. Aber es ist eine Kultur, die sich vor allem am Hooligantum orientiert. Das mediale Feedback verleiht ihnen Status. Es sind sehr unsichere Kinder. Die Frage ist, wie können wir ihnen helfen, sich einen Status zu verleihen, ohne kriminell zu werden. Durch gestohlene Kleidung geht das nicht.
Wut kanalisieren also?
Das ist eine sehr virtuelle Kultur. Ich nenne das Gegenmodell dazu eine organische Kultur. Kultur muss wachsen. Und Kultur kann man sich nicht durch Diebstahl aneignen. Die Welt dieser Leute ist korrupt. In deren Welt gibt es keine Moral oder Kreativität oder ein Gesetz, das geachtet wird.
Woher kommt diese Mode der Gewalt?
Das ist eine urbane Mode der Gangs. Eine Fantasiewelt. Eine virtuelle Welt, die sich im Internet abspielt. Aber der Realität kann man nicht entkommen. Im Internet verschwinden die körperlichen Grenzen. Da ist ein großes Potenzial für perverse Visionen für eine pervertierte Welt. Da gibt es keine Regeln. Aber Gesellschaft braucht Regeln.
Haben diese Unruhen das Potenzial, größer zu werden?
Sie sind bereits groß. Und sie haben ein großes Potenzial. Aber letztlich besteht keine unmittelbare Gefahr. Es ist aber doch ein verwirrendes Phänomen. Da rennen 12- bis 20-Jährige marodierend herum, denen die Gesellschaft bisher nichts gegeben hat.
-
Hauptartikel
-
Hintergrund
-
Analyse
-
Bilder
-
Hintergrund
-
Interview
Kommentare