Dicke Luft in Peking und der Provinz
Wer einen Tag lang die Luft in Peking einatmet, belastet seine Lunge so, als würde er eine Packung Zigaretten am Tag rauchen, warnen Wissenschaftler. Amtlich ist, dass die Schadstoffbelastung in mehreren chinesischen Städten derzeit 16-fach über dem empfohlenen Grenzwert der Weltgesundheitsorganisation (WHO) liegt. Behörden verschicken SMS mit der Aufforderung, das Haus – wenn überhaupt – nur mit Atemmasken zu verlassen. In Peking, Tianjin und sechs Provinzen stehen die Alarmzeichen seit Tagen auf "Orange". Die zweithöchste Alarmstufe gilt damit für rund 400 Millionen Menschen.
Wer es sich leisten kann, versucht, wenigstens in der eigenen Wohnung keine dicke Luft zu haben. Mithilfe von Luftfiltermaschinen. Die billigsten Geräte kosten rund 400 Euro und säubern die Luft in Räumen mit maximal 20 Quadratmetern. "Vor allem Familien kaufen sie fürs Schlafzimmer", sagt der Geschäftsmann Jack, der solche Geräte vertreibt. Die Nachfrage steige, die Entwicklung der Absatzzahlen hinke aber hinterher. Jack: "Seit die Luftwerte im Jänner 2013 so schlecht waren, kommt die Firma mit der Produktion nicht nach. Bestelle ich 100 Stück, bekomme ich vielleicht 20 geliefert." Die Lager sind – seit es im Jänner 2013 einmal Alarmstufe Rot gab – leer. Selbst die US-Botschaft braucht Geduld. Sie hat im November auf einen Schlag 3000 Luftfiltermaschinen gekauft, aber bisher nur einen Bruchteil erhalten, wird in Peking erzählt.
Dreck aus der Provinz
Für die Bewohner Pekings gehört der Check der Luftwerte zum Leben, wie jener des Wetterberichts zum Leben eines Europäers. Die Zahlen der chinesischen Behörden gelten als geschönt, viele verlassen sich lieber auf jene der US-Botschaft. "Alles hängt hier von der Luftqualität ab. Sogar die Frage, ob du zum Markt einkaufen gehst", sagt ein entnervter europäischer Manager in Peking. Es sei immer schwerer, erfahrene Mitarbeiter für Büros in Peking zu gewinnen. "Spätestens wenn sie Familie haben, wollen sie nicht hier leben."
Außerhalb der Stadt werden die Luftwerte nicht automatisch besser, im Gegenteil. In der Provinz Hebei, die Peking umgibt, gibt es nicht nur viel Landwirtschaft, sondern auch Kohle-, Stahl- und Eisenindustrie zur Versorgung der Hauptstadt. Die Windräder entlang der Autobahn wirken im Smog gespenstisch und stehen wie zum Hohn still. Ein Landwirtschaftsbetrieb mit Dutzenden Rindern, die in der Nähe eines Kohlekraftwerkes in der braunen Dunstwolke stehen, wirkt hoffnungslos verloren. Es war ein Einwohner von Hebeis Hauptstadt, der kürzlich die erste Klage gegen die Regierung wegen des Smogs eingereicht hat. Er fordert die Behörden auf, ihre gesetzliche Pflicht zur Kontrolle der Luftreinhaltung zu erfüllen und will Schadenersatz für die Bewohner. Ob das Gericht die Klage zulässt, ist offen.
Alarmstufe Rot
In China kommen zwei Drittel der Energie aus Kohlekraftwerken, die oft keine modernen Filteranlagen haben. Die Zahl der zugelassenen Autos ist von 16 Millionen im Jahr 2000 auf zuletzt 100 Millionen gestiegen. In Peking – einer Stadt mit 20 Millionen Einwohnern – kommen Monat für Monat 20.000 neue Wägen hinzu.
Derzeit gehen die Wogen hoch, weil die Behörde nicht Alarmstufe Rot ausruft. Das hätte Fahrverbote für die Hälfte der Autos und Fabrikschließungen zur Folge. Die Regierung verweist auf 36 heruntergefahrene Fabriken und Betriebe mit gedrosselter Produktion. Sie steht unter Kritik. Behörden würden aus Profitdenken die Schließung umweltverschmutzender Zement- und Stahlwerke verzögern, so der Vorwurf. Umweltschutz sei oft "das Letzte", wozu lokale Stellen bereit seien, kommentiert selbst die Zeitung China Daily.
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