Depressionen des Co-Piloten aktenkundig

Rettungskräfte bergen die sterblichen Überreste der 150 Insassen von Flug 4U9525. Ohne Hubschrauber können die Toten und Trümmerteile nicht aus dem unwegsamen Gelände abtransportiert werden.
Andreas L. hätte am Unglückstag gar nicht fliegen dürfen. Seine Krankheitsschübe waren schon lange bekannt.

Der 27-jährige Andreas L. hätte gar nicht im Cockpit sitzen dürfen. Der Co-Pilot des zum Absturz gebrachten Airbus A320 der Germanwings war in ärztlicher Behandlung und fluguntauglich. Bei der Durchsuchung seiner Wohnung wurden „Dokumente medizinischen Inhalts“ sichergestellt, die auf eine bestehende Erkrankung und entsprechende ärztliche Behandlungen hinweisen, teilte die Staatsanwaltschaft Düsseldorf am Freitag mit. Es sei unter anderem eine „zerrissene, aktuelle und auch den Tattag umfassende Krankschreibung“ gefunden worden. Um welche Krankheit es sich handelte, blieb vorerst offen.

Als sein Kapitän auf die Toilette gegangen war, hatte L. am Dienstag um 10.46 Uhr den Sinkflug eingeleitet, die Tür zum Cockpit von innen verriegelt. Er verurteilte damit 149 Passagiere und Kollegen zum Tod. Die Passagiere, müssen noch mitbekommen haben, wie der Kapitän und Crewmitglieder versuchten, die Tür einzuschlagen. Auf dem Voicerecorder hört man Sekunden vor dem Absturz Schreie der Passagiere in Todesangst.

Kein Abschiedsbrief

In Andreas L.s Wohnung in Düsseldorf und in seinem Elternhaus in Montabaur im Westerwald wurden weder ein Abschiedsbrief noch ein Bekennerschreiben gefunden. Daraus schließen die Ermittler, dass es vorläufig keine Anhaltspunkte für einen politischen oder religiösen Hintergrund „des Geschehens“ gebe. Andreas L. hatte psychische Probleme. Wenn stimmt, was Spiegel und Bild berichten, dann hätte auch Germanwings ein massives Problem und Erklärungsnotstand. Denn Andreas L.s Erkrankungen waren offenbar aktenkundig. Der zu 100 Prozent körperlich fitte Pilot war demnach ein seelisches Wrack. Für die Schadenersatzansprüche könnte das noch relevant werden. Der Copilot soll sich in einer Lebenskrise befunden haben. Auch in der Beziehung mit seiner Freundin habe es gekriselt. Der Mann, der einen Airbus abstürzen ließ, galt als nett, ein bisschen zu ruhig vielleicht, aber immer freundlich. Hinter der Fassade sah es wahrscheinlich gespenstisch düster aus.

Depressionen vermerkt

Lufthansa-Chef Carsten Spohr wollte am Donnerstag nicht beantworten, warum Andreas L. seine Ausbildung für elf Monate unterbrochen hatte. Laut Bild sei er bei den Flugkursen mehrfach wegen Depressionen zurückgestuft worden. Bei Abschluss seiner Ausbildung 2009 wurde eine „abgeklungene schwere depressive Episode“ diagnostiziert. Auch vor dem Flugzeugabsturz habe sich Andreas L. in „besonderer, regelhafter medizinischer Betreuung befunden“, berichtet Bild.

Hinweis SIC

Auch ein Vermerk in der Akte des Copiloten beim Luftfahrtbundesamt habe auf massive psychische Probleme hingedeutet. Das Amt bestätigt, dass sich der Copilot regelmäßigen Kontrollen beim Arzt unterziehen musste. „Wir haben eine Pilotenlizenz und ein Tauglichkeitszeugnis“, sagte ein Sprecher des Bundesamtes. „Da gibt es den Hinweis SIC.“ Zuletzt sei der entsprechende Vermerk im Juli 2014 ins Tauglichkeitszeugnis des Copiloten gesetzt worden. Das bedeutet, dass er sich „besonders regelhaften medizinischen Untersuchungen“ unterziehen musste. Was sich hinter dem Vermerk SIC verberge, gehe aus den Unterlagen aus Gründen des Datenschutzes aber nicht hervor. „Das liegt dann voll und ganz in der Verantwortung des Mediziners“, sagte der Sprecher tv.

Am Freitag wurde diskutiert, welche Hilfsangebote es künftig für Flugpersonal mit physischen und psychischen Problemen geben müsse. Markus Wahl von der Vereinigung Cockpit sagte ntv, dass man nicht hinter jeden Piloten einen Psychologen stellen könne und es schon derzeit Hilfsangebote gebe, die man aber auch nützen müsse. Niki Lauda glaubt nicht, dass Andreas L.s Erkrankung bekannt war. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Luftfahrtbehörde davon gewusst hat, dass der Pilot psychische Probleme hat. Da hätte ihn sofort ein Fliegerarzt untersuchen und fluguntauglich schreiben müssen.“ Nachsatz: „Wenn er zum Arzt geht, lügt und falsche Angaben macht, dass er keine Antidepressiva nimmt, dann kann der Amtsarzt auch nichts machen.“

Seyne-les-Alpes in den französischen Alpen: Nachdem sie am Vorabend an einer Gedenkfeier mit Vertretern von vier Religionen teilgenommen hatten, reisten die ersten Hinterbliebenen der 150 Todesopfer am Freitag mit einer Germanwings-Maschine ab. Die Stimmung an Bord war laut einem Konzern-Sprecher „ruhig und gefasst“. An der Unglücksstelle wurden im Laufe des Tages Dutzende weitere Angehörige erwartet, die von der Polizei vor Journalisten und Schaulustigen abgeschirmt werden. Für sie will Germanwings heute ein Betreuungszentrum eröffnen. Im benachbarten Le Vernet erinnert bereits eine erste Gedenkstelle an die Toten. Auf Französisch, Deutsch, Spanisch und Englisch ist zu lesen: „In Erinnerung an die Opfer des Flugzeugunglücks vom 24. März 2015.“

Am Limit

Experten suchten weiter nach dem zweiten Flugschreiber, Trümmerteilen und Leichen. Das gestaltet sich trotz des guten Wetters schwierig, da der Unglücksort sehr schwer zugänglich ist. Zu Fuß ist er für Ungeübte, wie die meisten Spurensicherer es sind, kaum erreichbar.

Für ihre Beförderung und den Abtransport der Toten und der Wrackteile werden Rettungshubschrauber eingesetzt. Deren Piloten kämpfen mit Wind, Nebel, aber auch großer emotionaler Belastung. Der Schock, dass es einer der ihren war, ein Pilot, der die Menschen an Bord des Jets umgebracht hat, und die Trauer sind groß. „150 Tote, das bedeutet 150 betroffene Familien“, sagt etwa David Girodet, selbst dreifacher Vater. „Aber wir können etwas für die Familien tun. Ihre Toten sollen ihnen übergeben werden.“

Damit das so schnell wie möglich passieren kann, wurde ein provisorisches Labor für die Identifizierung der Toten eingerichtet. Zu dieser werden persönliche Merkmale wie Größe, Augen- oder Haarfarbe und mögliche Narben herangezogen, aber auch Gegenstände wie Armbanduhren oder Eheringe. Endgültige Sicherheit gibt laut Experten aber nur ein DNA-Abgleich, etwa mithilfe einer Zahn- oder Haarbürste des Toten oder bei Kindern durch eine Speichelprobe der Eltern.
Tote Passagiere sollen nach einigen Wochen zur Bestattung freigegeben werden können. Bei Besatzungsmitgliedern wird das länger dauern, weil bei ihnen noch nach Alkohol oder Drogen im Blut gesucht werden könnte.

Nach dem Absturz bietet die Fluglinie nun ihren Kunden die Möglichkeit an, zukünftige Flüge kostenlos zu stornieren (allerdings nur telefonisch: 0180-632 03 20). Indes geht die Bergung vor Ort weiter. Am Mittwoch wurden schon die ersten Opfer geborgen (mehr dazu hier). Zugleich ging die Suche nach dem zweiten Flugschreiber in dem Trümmerfeld weiter.

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