"Dringender Bedarf der Reform"
Kardinal Christoph Schönborn galt selbst als „papabile“. Am Tag nach der Papstwahl sprach er mit dem KURIER über den neuen Papst und seine Erwartungen in ihn. Dass sich Franziskus in seiner Namenswahl auch auf Franz von Assisi bezieht, der von Gott den Auftrag „Richte meine Kirche wieder auf“ erhielt, versteht der Kardinal durchaus programmatisch – auch wenn die „Österreichische Agenda“ (die Reformanliegen der Initiative „Wir sind Kirche“) „nicht unbedingt Thema“ sein müsse.
KURIER: Herr Kardinal, wie erleichtert sind Sie denn, dass der Kelch des Papstes an Ihnen vorübergegangen ist?
Christoph Schönborn: Ich bin glücklich über die Wahl und voller Zuversicht und Hoffnung, wie es in der Bibel heißt, dass es dem Heiligen Geist und uns gefallen hat, den richtigen Papst zu wählen.
Aber Sie galten als einer der engeren „Papabile“ und haben auch von der Bürde und Last des Amtes gesprochen – froh, dass nicht Sie gestern auf dem Balkon gestanden sind?
Sie kennen den Spruch: Wer als Papabile ins Konklave geht, kommt als Kardinal heraus. Es freut mein Herz nicht ohne gewisse Ironie, dass alle Voraussagen der Journalisten nicht eingetroffen sind und die englischen Buchmacher total daneben gelegen sind. Die Kardinäle haben frei von äußeren Einflüssen und Druck den gewählt, von dem sie geglaubt haben, dass er der Richtige ist.
Für die Vatikanologen war Franziskus nicht Favorit, intern offenbar schon: Wie nahe war er bei der Papstwahl 2005 schon dran, 40 Stimmen soll er bekommen haben?
Dazu kann ich nichts sagen, das ist strikt untersagt.
War seine Wahl trotzdem eine Überraschung für Sie?
Eine freudige. Es ist denkbar, dass Franziskus uns in vielerlei Weise überraschen wird. Und wie die Kürze des Konklave gezeigt hat: Die Spekulationen über Spekulationen über Parteiungen und Zerwürfnisse im Kardinalskollegium, die halten vor den Tatsachen der Kürze dieser Wahl nicht stand.
Was sind Ihre Erwartungen an den neuen Papst?
Dass er uns die Freude am Evangelium nahebringt, uns auf einen Weg der Einfachheit, der Umkehr, der Erneuerung führt und vorangeht. So haben wir ihn in seinem Amt als Erzbischof von Buenos Aires kennengelernt. Und so waren auch seine ersten Schritte als Papst gestern Zeichen der Einfachheit, der evangelischen Schlichtheit, der Liebe zu den Armen und auch der Entschiedenheit im Wissen um die Notwendigkeit von inneren Reformen der Kirche.
Diese Reformen sind ja auch Teil wilder Spekulationen. Ist der neue Papst eine „konservative“ Entscheidung oder ein Signal für einen Aufbruch?
Kategorien dieser Art greifen zu kurz. Es geht nicht um konservativ oder fortschrittlich, sondern um die Frage, stimmt es mit dem Evangelium überein, spricht er und sein Weg der Leitung der Kirche deutlich genug von Christus. Nach diesen Kriterien wird der Kandidat auch gesucht. Es geht ja um den, dem Jesus den Auftrag gegeben hat: Weide meine Herde. Ist er ein Mann, der heute das Evangelium glaubwürdig darstellt – und davon sind wir überzeugt.
Dennoch sind Reformen in der Kirche drängendes Thema: Ist die Namenswahl Franziskus, die auch auf Franz von Assisi zurück geht, programmatisch? Den bat Gott der Legende nach ja, „mein Haus wieder aufzubauen, das in Verfall gerät“.
Ja, genau an das haben, denke ich, viele von uns gedacht, als er sagte, dass er den Namen Franziskus wählt. „Richte meine Kirche wieder auf“, hat Christus zu Franz von Assisi gesagt. Ich denke, das darf man in dieser Namenswahl auch sehen.
Sie haben selbst die Notwendigkeit von inneren Reformen angesprochen: Welche sind dringlich und werden vom neuen Papst angegangen?
Es gibt einen dringenden Bedarf der Reform in der Zentrale der Kirche, der Kurie ...
Also die politische Reform.
... das war schon das Anliegen von Papst Benedikt XVI., das Franziskus sicher sehr entschieden weiterführen wird: mehr Transparenz, mehr Klarheit, was den Finanzbereich oder den Informationsbereich betrifft. Diese innere Reform wünschen sich viele von uns dringend, auch Mitarbeiter der Kurie. Weil der Dienst, der hier geleistet wird, so wichtig ist für eine Glaubensgemeinschaft von 1,2 Milliarden Menschen, braucht es eine gut arbeitende Zentrale, die den Papst unterstützt. Es geschieht sehr viel Gutes im Vatikan, viel mehr, als in der veröffentlichten Meinung transportiert wird, aber es gibt auch ganz klare Reformbedürfnisse. Und dafür steht auch Papst Franziskus.
Ist das ein Umdenken im Zentrum des Vatikan, wo auch diese Reform zumindest sehr gestockt ist?
Es ist allen bewusst, dass das, was Benedikt XVI. versucht hat und was in Ansätzen ja auch da war, dringend weitergeführt und beschleunigt werden muss.
Zölibat, Wiederverheiratete, Frauen in der Kirche: Was erwarten Sie? Welche dieser anstehenden Fragen wird der neue Papst tatsächlich aufgreifen?
Das will ich nicht beantworten zum jetzigen Zeitpunkt. Nur so viel: Die übliche österreichische Agenda muss jetzt nicht unbedingt Thema sein.
Sie meinen die Initiative „Wir sind Kirche“, die ja schon lange nicht mehr nur eine österreichische Agenda ist.
Es ist eine weitgehende österreichische Agenda. Auf weltkirchlicher Ebene ist die Thematik großteils ziemlich woanders.
Dass erstmals in der Kirchengeschichte ein Erzbischof aus Lateinamerika Papst wurde, erstmals seit 1272 Jahren ein Nichteuropäer: Ist das ein Signal, dass es in der Kirche andere Themen gibt?
So kann man es sagen. Es ist völlig legitim, über alle die von Ihnen genannten Themen zu reden. Aber es ist vielleicht ganz gut, sich einmal den großen Themen, etwa Lateinamerika, zuzuwenden.
Wie groß wird der Einfluss des emeritierten Papstes Benedikt XVI. sein?
Er wird sich sicher ganz, ganz entschieden zurückhalten.
Bei einer Pressekonferenz in Rom kritisierte Schönborn auch die anhaltenden Indiskretionen im Vatikan („VatiLeaks“) scharf. Es sei ein Skandal, „dass vertrauliche Gespräche der Kardinäle wortwörtlich von italienischen Zeitungen gedruckt“ worden seien, etwa auch Gespräche in den Kongregationen im Vorfeld der Papstwahl. Als „corvi“ (Raben), die Geheimnisse weitergeben, kommen Putzfrauen bis Kardinäle in Frage. „Es ist dringend notwendig, dass der neue Papst dort eine Reinigung vornimmt, auch damit der gute Ruf des Vatikans wiederhergestellt wird.“
Bevor Jorge Mario Bergoglio auf den Balkon des Petersdoms trat, um sich der Welt als Papst Franziskus zu präsentieren, griff er zum Telefon. Sein Vorgänger Joseph Ratzinger wartete in Castel Gandolfo wie Millionen andere Zuseher vorm TV-Schirm auf das erlösende Rauchzeichen. Er sollte noch vor der wartenden Menge am Petersplatz erfahren, wem der weiße Rauch galt. Der neue Papst hat offenbar einen Sinn für richtig gesetzte Gesten. Denn auch am Anfang der überraschenden Wahl des Lateinamerikaners stand eine Sensation. Der Stuhl Petri ist nicht, wie seit Jahrhunderten, durch Tod vakant geworden. Der 85-jährige Benedikt XVI. trat ausgebrannt zurück: Ermüdet an den Intrigen und ungelösten inneren Widersprüchen seiner Kirche.
Zurück bleiben: Die Verwerfungen nach „VatiLeaks“ in der römischen Kurie; die Tausenden ominösen Konten der Vatikanbank; der existenzbedrohliche Priestermangel – samt zunehmender Unzufriedenheit des katholischen Bodenpersonals, das im „Pfarreraufstand“ ein weit über Österreich hinausgehendes Ventil gefunden hat. Ratzingers Pontifikat ist von Anfang an am mangelnden Willen, dem allen Herr werden zu wollen, gescheitert. Als mit „VatiLeaks“ ein Befreiungsschlag unvermeidlich wurde, fehlte dem Schöngeist die Kraft.
Sein Nachfolger scheint aus einem anderen Holz geschnitzt. Alle, die ihn gut kennen, beschreiben Franziskus als einen Mann der Tat – und einen, wie sein erster sympathischer Auftritt am Balkon zeigt, der klare Signale zu setzen weiß. Bergoglio, sagen Wegbegleiter, wird alles tun, dass weniger von Skandalen und Baustellen im Vatikan die Rede ist. Er wird vielmehr lieber die Skandale und Sünden der profanen Welt ins Visier nehmen. Nach diesem Muster hatte er sich als Freund der alleingelassenen Armen und der geschundenen Umwelt weit über seine Diözese Buenos Aires hinaus einen Namen gemacht.
Martinis letzte Mahnung
Die vielen offenen Fragen im eigenen Kirchenhaus wird er so nicht aus der Welt schaffen, aber kurzfristig in den Hintergrund drängen können. Nüchtern konzernpolitisch betrachtet, ist den 115 Kardinälen mit der Kür Bergoglios strategisch etwas gelungen: Südamerika ist mit 500 Millionen Katholiken der wichtigste Heimmarkt der Kirche; aber auch der am meistem umkämpfte, weil ihr hier „Freikirchen“ und Evangelikale am heftigsten Konkurrenz machen. Franziskus könnte der Kirche so ein bescheideneres und glaubwürdigeres Gesicht geben – und profan betrachtet die ramponierte Marke neu aufladen.
Der Niedergang der katholischen Kirche in Europa lässt sich aber vom frömmsten Papst nicht allein wegbeten. Dazu bräuchte es jene Reformen an Haupt und Gliedern, die ein anderer „papabile“ Jesuit im Kardinalspurpur, der Mailander Carlo Maria Martini, im Vorjahr knapp vor seinem Tod so deutlich angesprochen hat wie niemand zuvor: „Die Kirche ist 200 Jahre hinter ihrer Zeit. Warum wachen wir nicht auf? Wovor haben wir Angst?“
Im Kollegium Kalksburg im Süden von Wien war der neue Papst am Donnerstag Thema im Unterricht, nicht nur in Religion. Kein Wunder, wurde das Bildungszentrum mit Volksschule und Gymnasium doch von Jesuiten gegründet.
„Wir haben ausführlich über Franziskus geredet, mit den Lehrern und untereinander“, erzählt Nini Lugner aus der achten Klasse. Auch für sie war die Wahl eines Jesuiten zum Pontifex überraschend: „Die Jesuiten waren oft eigenwillig und bei den Päpsten nicht sehr beliebt“, sagt die 18-Jährige.
Schulsprecher Gregor Hübl ist gespannt, welchen Kurs der neue Papst einschlagen wird: „Die Kirche sollte sich mehr sozial engagieren, Franziskus könnte zum Papst der Armen werden“.
Letzterer ist neu im Lehrer-Team des Schulzentrums: Der Tiroler Hans Brandl, 40, unterrichtet seit Beginn des Schuljahrs im Kollegium Kalksburg. Wie die meisten Experten hatte auch er nicht mit der Wahl Jorge Mario Bergoglios gerechnet: „Das ist eine Riesenüberraschung. Ich hätte gewettet, dass es keiner der Unsrigen wird.“
Info per SMS
Den ersten Auftritt des ersten jesuitischen Pontifex der Kirchengeschichte erlebte Pater Brandl nicht live mit: „Als nach der Abendmesse alle Glocken der Stadt läuteten, wusste ich, wir haben einen Papst.“ Da der Name des Pontifex in den Abendnachrichten noch nicht bekannt war, setzte sich Brandl an seinen Schreibtisch, um zu arbeiten. „Informiert wurde ich dann per SMS“ – nicht von Mitbrüdern, sondern von Freunden. Mittlerweile konnte er sich auch mit anderen Ordensbrüdern austauschen. Ihre Reaktion war ähnlich wie seine eigene: „Erfreut, aber jesuitisch nüchtern.“
Vor dem Konklave wusste der Tiroler Jesuitenpater nicht viel über seinen argentinischen Mitbruder: „Ich habe gehört, dass es in Buenos Aires einen als papabile geltenden Kardinal gibt, dem vorgeworfen wird, während der argentinischen Militärdiktatur zwei Mitbrüder verraten zu haben.“ Mehr weiß Brandl über die Causa nicht, „außer, dass Bergoglio die Vorwürfe zurück gewiesen hat“.
Die Überraschung über den jesuitischen Papst liegt nicht zuletzt in den Regeln des Ordens: „Unsere Satzungen untersagen uns, höhere kirchliche Ämter anzustreben.“ Nachsatz: Wenn der Ruf ertönt, soll aber auch ein Jesuit eine Ernennung „gehorsam annehmen“.
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