China bleibt die Luft weg: 90 Prozent aller Städte betroffen

Shenyang in der Mandschurei im Smog: Die schnell wachsende Millionenstadt ist umgeben von landwirtschaftlichen Anbaugebieten.
Die junge Mittelschicht will das Smogproblem nicht mehr länger hinnehmen.

In China gibt es eigentlich nur noch zwei Themen, die die Menschen interessieren. Die Umweltverschmutzung (Luft und schlechte Nahrung) und die Korruption. Die App "China Air Quality Index" der Wetterstationen der amerikanischen Botschaft hat praktisch jeder Chinese auf seinem Smartphone. Den staatlichen Messwerten wird nicht getraut, zu oft wurden sie zensuriert.

Apec Blue

Das letzte Mal schien in Peking im November die Sonne. Vor dem APEC-Treffen (asiatisch-pazifische Wirtschaftsgemeinschaft), zu dem mehr als 20 Regierungschefs, darunter Obama und Putin, anreisten, wurden 2386 Fabriken im Umkreis von Peking geschlossen, Baustellen mit Planen abgedeckt, Fahrverbote verhängt, Schulen und Universitäten dicht gemacht und Zigtausende Beamte auf Zwangsurlaub geschickt. Über der verbotenen Stadt war der Himmel graublau und die Sonne blinzelte durch. Eine Sensation, die die Auslandsösterreicher und -deutschen in Peking, die im Paulaner Bräu im Hotel Kempinski ihren Stammtisch haben, zynisch "Apec Blue" nannten. Doch kaum war man draußen aus der Stadt, legte sich der dicke Smog um den Zug, der mit 308 km/h Richtung Schanghai raste.

Der Index für Feinstaub lag in Peking am Donnerstag auch offiziell bei mehr als 200, das ist das Zehnfache des Grenzwerts der WHO. Die Bewohner wurden wieder einmal aufgefordert, Atemschutzmasken zu tragen. Auch in allen anderen 190 Millionenstädten, die meisten haben mittlerweile knapp oder mehr als zehn Millionen Einwohner, waren die Werte eindeutig zu hoch.

Keine Filter

Die rasend schnell wachsende Mittelschicht, die größte auf der Welt, will sich das nicht mehr gefallen lassen und verlangt immer lauter nach Maßnahmen wie Filteranlagen für die Fabriken. Das Problem dabei: viele private und halbstaatliche Firmen nehmen die Umweltauflagen, die es schön langsam gibt, nicht ernst. Und korrupte Beamte drücken beide Augen zu.

Der 33-jährigen Exportkaufmann Zao Lin, Vater eines kleinen Sohnes, ist da selbst in der Zwickmühle. Einerseits will er möglichst schnell möglichst viel Geld verdienen – und Umweltmaßnahmen kosten Geld – andererseits macht er sich extreme Sorgen wegen der prekären Situation. Auf Besuch in Österreich standen ihm Tränen in den Augen, als er auf einer Brücke im niederösterreichischen Payerbach die Steine im Bachbett sehen konnte. Wieso wir so klares Wasser und so saubere Luft hätten? Das habe er daheim in der Nähe von Schanghai noch nie gesehen. Dabei bauen seine Eltern und Schwiegereltern ihr Gemüse selbst an, was ein großer Luxus ist, und schlachten zum chinesischen Neujahr ihre persönlich gefütterten Schweine. Denn der Lebensmittelindustrie wird nach unzähligen Skandalen überhaupt nicht mehr getraut. Als gut gilt, was aus dem Ausland kommt. Für die meisten ist das aber unleistbar.

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