"Wir wollen keine Belastung sein": Die Migranten und Tijuana
Die mexikanische Grenzstadt Tijuana lebt von ihrer Nähe zu den USA und allem, was damit verbunden ist - auch der Migration. Jetzt wächst der Unmut der Bewohner über Einwanderer aus Mittelamerika. Warum kippt nun gerade die Stimmung in der Stadt?
"Keine Karawanen mehr" steht in dicken schwarzen Buchstaben auf einem Schild, das sich Guadalupe Barrarera vor die Brust hält. "Wo ist unsere Regierung?", fragt die 50-Jährige aus der mexikanischen Grenzstadt Tijuana. Sie klingt aufgebracht. Zu lange hätten die Verantwortlichen nichts dagegen unternommen, dass "diese Menschen" einfach nach Mexiko kommen. Mit "diese Menschen" meint sie sogenannte Einwanderer-Karawanen aus Mittelamerika. Was der Durchgangsstadt auf dem Weg in die USA im Norden des lateinamerikanischen Landes bisher ihre Bedeutung verliehen hat, droht sie jetzt nach Ansicht einiger Bewohner zu ersticken: die Migration.
Sie sei keine Rassistin, sagt Barrarera. "Wir sind alle Brüder. Aber sie müssen sich an die Regeln halten und legal einreisen." Außerdem dürfe es keinen negativen Einfluss auf die Bewohner der Stadt haben, wenn diese die Migranten aufnehme, fordert die 50-Jährige. Rund 300 Menschen haben sich mit ihr versammelt, um gegen die Ankunft weiterer Migranten-Gruppen zu protestieren. Später wollen sie vor eine Notunterkunft marschieren, in der rund 2500 Migranten untergebracht sind.
Dort sitzt Enio Castillo auf einer Kiste und nippt an einem Becher mit Kaffee. Ja, er wisse, dass die Menschen in Tijuana protestierten, sagt der Mann aus Guatemala. Angst, die Unterkunft zu verlassen, habe er aber nicht. Die sogenannte Migranten-Karawane wolle keine Belastung für die Mexikaner sein, so Castillo. Die Menschen aus Mittelamerika versuchten ihr Bestes, um einen guten Eindruck zu machen. Für Familien mit Kindern sei die angespannte Atmosphäre aber bedrohlich, so der Guatemalteke.
Laut einer Befragung des Umfrage-Instituts Mitofsky sprachen sich Mitte November knapp mehr als die Hälfte der Mexikaner dafür aus, die Migranten aus Honduras, Guatemala und El Salvador zu unterstützen. 51,4 Prozent erklärten, Mexiko müsse den Einwanderern helfen, vor allem aus Gründen der Menschlichkeit. 33,8 Prozent der Befragten sagten, Mexiko solle eine ablehnende Haltung einnehmen.
Während den Migranten in den südlichen Teilstaaten viel Unterstützung zukommt, scheint in den nördlichen Gebieten und den Grenzstädten Mexikos die Stimmung zu kippen - denn dort bleiben die Menschen auf ihrer Suche nach Asyl in den USA hängen. Und das oft monatelang, ohne Job, ohne eigene Unterkunft, angewiesen auf die Hilfe des Staates.
Doch der hat in Tijuana bereits genug zu tun. In der Grenzstadt mit rund 1,3 Millionen Einwohnern gab es bis Ende Oktober des heurigen Jahres 2.300 Tötungsdelikte. Die verfeindeten Drogenkartelle Sinaloa und Jalisco Nueva Generacion kämpfen um die Stadt, die rund 30 Kilometer Luftlinie entfernt von der US-Stadt San Diego einen der lukrativsten Märkte des Landes bietet.
Am betonierten Kanal des Tijuana-Flusses machen die Verbrechersyndikate ihre Geschäfte, oder es kommt zu tödlichen Auseinandersetzungen zwischen den Bandenmitgliedern. In den Rotlichtvierteln Tijuanas floriert die Zwangsprostitution. Wer Sex mit Minderjährigen und Kindern sucht, findet ihn in der Grenzstadt.
Aber auch für legale Geschäfte zwischen Mexiko und den USA ist Tijuana wichtig. Blockierte Grenzübergänge oder wegen zu vieler illegaler Grenzübertritte verstimmte US-Behörden könnten diesen schaden, fürchten vor allem die Pendler, die für ihre Jobs jeden Tag zwischen beiden Staaten unterwegs sein müssen.
Der Grenzübergang San Ysidro ist nach Angaben der US-Behörde General Services Administration der meistfrequentierte der westlichen Hemisphäre. Durchschnittlich 70.000 Menschen reisen demnach dort pro Tag in Fahrzeugen in die USA ein. Weitere 20.000 nutzen die Fußgängerbrücke. Der Großteil arbeitet auf der US-Seite und kehrt am Abend zurück nach Mexiko.
Und mit manchen Pendlern schwappt auch ein Problem nach Tijuana, das die angespannte Stimmung weiter anheizt: "Es scheint so, als sei Trump im Moment auch in Mexiko präsent", sagt Padre Pat Murphy mit Blick auf die Rhetorik des US-Präsidenten. Der gebürtige US-Amerikaner leitet die Einwanderer-Herberge Casa del Migrante, die in Tijuana bereits seit 31 Jahren besteht. In den sozialen Netzwerken gebe es ein neues Maß an Fremdenfeindlichkeit, erklärt der Geistliche. Das habe es zuvor nicht gegeben.
Die Regierung der Stadt und des Teilstaats Baja California habe zu langsam reagiert als klar war, dass Tausende Menschen aus Mittelamerika auf dem Weg waren, so der Padre. Er hofft, dass sich die angespannte Stimmung wieder legt. "Tijuana war immer eine Stadt der Migranten und wird es immer sein." Noch vor 25 Jahren sei Tijuana ein Städtchen gewesen, so Murphy. Heute sei es eine Großstadt mit vielen Möglichkeiten. "Und wer hat das mit aufgebaut? Die Migranten."
Kommentare