Wo sich die Einheimischen erfolglos gegen Touristen wehren
Jetzt ja nicht das Kind loslassen. Im Gedränge vor dem Trevi-Brunnen in Rom würde es verschwinden. Oder im Gedränge vor dem Pantheon, vor der Spanischen Treppe, auf der Piazza Navona. Die Menschenmassen in der Stadt nerven – die Touristen, die Teil des Ganzen sind, aber vor allem die Einheimischen.
Bürgerverbände in Rom rebellieren gegen den Massentourismus.
Sie fordern Beschränkungen für Ferienwohnungen und Reisebusse in der Innenstadt – und sind damit nicht die einzigen in Europa.
"Das ist eine Invasion"
Erst vergangenes Wochenende gingen in Málaga Tausende Menschen auf die Straße. „Das ist kein Tourismus, das ist eine Invasion“, stand auf Plakaten. Zuvor gab es Proteste auf den Kanaren, in Barcelona, auf Mallorca.
Vor allem Spanien wehrt sich derzeit lautstark gegen die Touristenmassen. Das Land steuert heuer erneut auf einen Besucherrekord zu. Vergangenes Jahr kamen laut spanischem Statistikamt 85,1 Millionen internationale Touristen. Überhaupt ist das Mittelmeer die beliebteste Urlaubsdestination weltweit.
Vielerorts wird gegengesteuert. Venedig verlangt an besucherreichen Tagen fünf Euro Eintritt. In den Cinque Terre an der italienischen Riviera gilt eine Einbahnregelung am Wanderweg.
Neben genereller Überforderung treibt Wohnungsnot die Menschen auf die Straße. Mit Ferienwohnungen lässt sich mehr Geld verdienen, Einheimische können bei den Preisen nicht mehr mithalten. Barcelona will deshalb Kurzzeitvermietungen über die Plattform Airbnb ab 2029 komplett verbieten.
"Jetzt stoßen wir an die Grenzen"
„Das sind vor allem Verzweiflungsmaßnahmen“, sagt der deutsche Tourismusforscher Markus Pillmayer. „Mit fünf Euro wird man in Venedig keinen einzigen Tagesgast abschrecken.“ Grundsätzlich behandle man damit nur Symptome, nicht die Ursachen. „Seit Jahrzehnten wird im Tourismus ein Wachstumsmodell propagiert, das keine Grenzen kennt. Aber jetzt stoßen wir an diese Grenzen.“
Spanien ist Europas beliebtestes Urlaubsland. Es steuert heuer auf einen Besucherrekord zu. Schon im ersten Quartal wurden
24 Millionen Touristen gezählt: ein zweistelliges Plus zum Vorjahreszeitraum. Auf den Baleareninseln versucht die Regierung gegenzusteuern. Seit 2022 gilt dort ein Gesetz zur Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft im Tourismusbereich.
500 Millionen Übernachtungen gab es 2023 in Italien. In Venedig werden zu bestimmten Terminen fünf Euro Eintritt verlangt, um Tagesbesucher abzuhalten. In Rom wird 2025 ein „Heiliges Jahr“ gefeiert. Die Stadt investiert vier Milliarden Euro, um für zusätzliche Besucher gerüstet zu sein
In den 1980er-Jahren begannen große Reiseveranstalter, den Mittelmeerraum zu erschließen. Seither haben alle profitiert – die Konzerne, die Gäste, die Einheimischen. „Tourismus bringt Wohlstand“, sagt Finanzwissenschafter Robert Steiger von der Universität Innsbruck. Vor allem in ländlichen Regionen. Man denke an Tirol. Weniger touristisch erschlossene Berggebiete, etwa im Friaul oder in den französischen Alpen, seien von Abwanderung geprägt und teils sogar entvölkert, weil es keine Einkommensmöglichkeiten gebe.
Das System kippt
Doch irgendwann kippt es. Die jüngere Generation ist besser gebildet als ihre Eltern und wandert ab, weil es im Tourismus vor allem niedrigqualifizierte Arbeitskräfte braucht. „Wenn die Belastungen zunehmen und der Nutzen für die Bevölkerung abnimmt, wird der Ruf des Tourismus schlechter“, sagt der Finanzwissenschafter.
20,6 Millionen Reisende waren vergangenes Jahr in Kroatien unterwegs. Das führte zu 108 Millionen Nächtigungen. Die Urlauber kommen vor allem in den Sommermonaten.
Für nachhaltigen Tourismus wird in Kroatien bis zum Jahr 2030 eine halbe Milliarde Euro ausgegeben. Touristische Destinationen abseits der Adriaküste sollen entwickelt werden. Dubrovnik schränkte die Zufahrt von Kreuzfahrtschiffen und Autobussen mit Tagesauflügerln ein.
2 Milliarden Euro will Griechenlands Regierung in Zivil- und Klimaschutz stecken. Man wolle zum Vorreiter für neue Lösungen und nachhaltigen Tourismus werden, heißt es.
Portugal
Die Tourismusbranche trägt etwa 20 Prozent zum Bruttosozialprodukt bei. Das Land will bis 2050 weitgehend -neutral sein.
Aber gibt einen Weg zurück zum sanften Tourismus? Experten bezweifeln das. Denn wirksame Gegenmaßnahmen seien unpopulär, meint Tourismusforscher Pillmayer. Darunter fällt das sogenannte Demarketing, also bestimmte Märkte eine Zeit lang gar nicht mehr zu bewerben. Amsterdam hat das gemacht, Bern adressiert den chinesischen Markt und die USA nicht mehr. Das ist insofern radikal, weil China gemeinsam mit Indien und dem arabischen Raum zu den größten potenziellen Wachstumsmärkten gehört.
„Ein weiterer Ansatz kann sein, dass sich die wichtigen Akteure an einen Tisch setzen und eine Lösung finden“, sagt der Tourismusforscher. So geschehen in Dubrovnik, das vor allem von Kreuzfahrt-Passagieren niedergerannt wurde. Seit 2019 dürfen nur noch zwei Schiffe pro Tag anlegen. Was de facto bedeutet, dass irgendjemand Profit einbüßt.
Und zuletzt sind die Einheimischen gefordert, die entsprechende Politik zu wählen. Pillmayer: „Jetzt ist der Schrei nach Regulierung groß. Aber bei den letzten Regionalwahlen in Spanien wurde genau diese Politik abgewählt.“
Treiber des Klimawandels
Ein Umdenken braucht es auch für einen weiteren Leidtragenden: das Klima. Für immerhin acht bis zehn Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen ist der Tourismus verantwortlich. Wobei bis zu 80 Prozent davon die An- und Abreise der Gäste ausmacht.
„Hier ist der Tourist der große Hebel“, sagt Robert Steiger, Mitautor des ersten globalen Klimaberichts für die Tourismusbranche. Dieser müsse sich überlegen, ob es unbedingt mehrere Flugreisen pro Jahr in weit entfernte Destinationen sein müssen oder ob ein längerer Urlaub in ein Nachbarland mit Auto oder Zug reiche. Der Trend ist klar: Seit Jahren werden die Urlaube kürzer, dafür verreisen wir öfter.
Zurück in Rom ist das Kind unter den vielen Menschen an diesem verlängerten Wochenende nicht verloren gegangen. Die Familie ist erleichtert. Bei einem Aperitivo am Ende der Reise wird besprochen, wie furchtbar Massentourismus ist. Und es gilt eine Frage zu klären: „Wohin fahren wir als nächstes?“
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