Wie Migranten in Spanien sterbende Dörfer wiederbeleben sollen

Melina und Mario in dem Dorf, wo die gebürtige Peruanerin nun das Restaurant betreibt
Alle Köpfe in der Bar drehen sich, als der Bürgermeister mit zwei Stadträten das Lokal betritt und zwei Südamerikanerinnen den Weg in den Restaurantbereich weist. In einem Stuhlkreis setzt er sich den Frauen gegenüber und wird ernst. Es ist ein Bewerbungsgespräch für eine Zukunft. Für das Dorf Azaila genauso wie für Diana und Lili.
Die spanischen Dörfer stehen vor dem Aussterben. Ihre Bewohner werden immer älter und die Bürgermeister stehen immer öfter vor geschlossenen Geschäften und fehlender Versorgung. Auch Azaila, in Aragon, zählt nur noch 95 Einwohner.
In den Großstädten dagegen wird das Leben immer schwieriger. Vor allem für die, die wenig Geld haben. Dass die Bedürfnisse der beiden Seiten zusammenpassen, haben schon ein paar Organisationen verstanden. „Pueblos con Futuro“ sucht Leute, die sich ein Leben auf dem Land vorstellen können und bringt sie mit den sterbenden Dörfern in Kontakt.
Das Herz des Dorfes
Zwischen einer Stadträtin und dem Bürgermeister sitzt Mario González. Er hat die Runde zusammengebracht. Auf der einstündigen Fahrt hat er Diana und Lili erklärt, worum es geht: „Jeder Ort braucht eine Gaststätte, in der sich die Bewohner treffen können. Weil in Azaila die Betreiber des Lokals in Pension, hat die Gemeinde es übernommen. Nun suchen sie jemanden, der es führen kann.“ Diana und Lili haben verstanden: es geht um das Herz des Dorfes. Auch sie sind ernst, beantworten Fragen, zeigen Verständnis für die Probleme der Gemeinde und hören aufmerksam zu.

Diana und Lili im Dorf Loscos
Lili ist mit zwölf Jahren mit ihrer Mutter nach Spanien gekommen, Diana mit 14 Jahren mit ihrem Vater. Beide stammen aus der Dominikanischen Republik. Ihr Verhältnis ist familiär. Das liegt auch daran, dass sie die gleiche Geschichte haben: Mit 16 zu arbeiten begonnen, Gelegenheitsjobs als Kellnerinnen, Zimmermädchen, beim Churro-Stand auf Straßenfesten. „Notwendigkeit“ zwingt die nun alleinerziehenden Mütter, Alternativen zum Großstadtleben zu suchen, wie die heute 28-jährige Diana knapp erklärt. „Ich habe im Zug mit einer Frau geredet und sie hat mir Marios Nummer gegeben.“
Dieser hatte für Azaila schon eine Familie gefunden – die abgesprungen ist. Auch Mario muss sich gegenüber der Dorfverwaltung behaupten. Er erklärt, dass die Menschen Angst vor Neuem haben. Heute hätte eine dritte Person mitkommen sollen, aber der Mann habe kurzfristig abgesagt.
Die Stadträte sind unbeeindruckt. Sie wollen drei Leute für ihre Gaststätte mit Dorfladen. Jeden Tag müssen 14 Essen zubereitet werden, außerdem Gäste bedient, die auf Durchreise sind oder Arbeiter von den Solarfeldern und Tierfarmen. Dass die Frauen keinen Führerschein haben, ist schlecht. „Wie wollen sie ihre Kinder in die Schule bringen?“ Die Frage richtet sich an Mario. Trotzdem zeigen sie den Kandidatinnen das Haus, das es gratis zum Job gibt. Diana und Lili besichtigen staunend die sechs Schlafzimmer auf zwei Stockwerken.

Das Dorf Azaila
„Sie sind anspruchsvoll“, sagt die 43-jährige Lili zurück im Wagen. Mario steuert den schwarzen Toyota über Schotter, vorbei an Feldern, Mandelbäumen, einer Schafherde. Er versucht, den Frauen Mut zu machen. Sie überlegen, ob auch Lilis Mutter in das Dorf ziehen und sich um die Kinder kümmern kann. „Ich glaube, wir können das vergessen“, sagt Lili. Die Hoffnung richtet sich auf das zweite Dorf, das sie besichtigen. Loscos, weitere 45 Minuten entfernt, hat das gleiche Problem.
Das nächste Dorf
Bürgermeister Miguel Bailo wartet vor der neuen Gaststätte, die zum Rathaus gehört. Sie war noch nie in Betrieb. Schon in drei Tagen soll die Entscheidung fallen, wer sie einweihen darf. Der 30-Jährige rechnet vor: 2000 Euro netto kommen im Monat durchschnittlich rein, im Sommer mehr, im Winter weniger. Dazu gibt es eine mietfreie, renovierte Wohnung mit zwei Schlafzimmern über der Arztpraxis. Diana und Lili sind interessiert.
Damit sind sie in Loscos aber nicht allein. Über 50 Bewerbungen hat Miguel bekommen. Was Lili und Diana hervorhebt, ist, dass sie fünf Kinder mitbringen. „Das reicht, um eine Schule zu eröffnen“, sagt Miguel nachdenklich. Die Frauen sollen einen Businessplan schicken.
Als das Auto das Dorf verlässt, dreht sich bereits alles um Rezepte. Madrilenischen Eintopf, Tortilla, Tapas. „Einmal pro Woche solltet ihr etwas Spezielles anbieten“, sagt Mario. Für die Jungen Hamburger und Mojitos, für die Alten Lieferungen des Tagesmenüs. Um den eigenen Hunger zu stillen, biegt Mario in ein letztes entlegenes Dorf ein. Er will Melina besuchen. Die Peruanerin betreibt das Dorfrestaurant seit fünf Monaten. Um 15:30 Uhr ist es gut besucht.
Melina tischt das Familien-Barbecue auf, mit peruanischen Anticuchos. Rinderherzen am Spieß. Diana und Lili sind beruhigt, dass es möglich ist, die traditionelle spanische Küche mit einen Hauch Heimat anzureichern. Melina ist eine Erfolgsgeschichte für Mario, auch, wenn es für sie bereits der vierte Anlauf ist.
Sie erzählt von Problemen mit verschiedenen Gemeinden, die zwar Leute brauchen, es den Neuen aber nicht leicht machen. So darf Melina etwa das Restaurant nie schließen. Für die Alleinerziehende eine Herausforderung. Sie lächelt tapfer. „Das Wichtigste ist, immer zu zeigen, dass ihr hart arbeitet“, rät Mario.
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