Keine Werbung, Verbot nach 22 Uhr: Polen will sein Alkoholproblem bekämpfen

Joanna Wicha griff zu drastischen Bildern: „Unsere Notaufnahmen verwandeln sich in Ausnüchterungszellen“, sagte die polnische Abgeordnete (Linke) vergangene Woche im Parlament. „Anstatt Kranke zu behandeln, nehmen sie betrunkene Kriminelle auf.“ Und müsse man denn wirklich hinnehmen, dass es in Polen „zehnmal mehr Spirituosengeschäfte gibt als Apotheken?“
Ihre Partei, ein Koalitionspartner von Polens liberal-konservativem Regierungschef Donald Tusk, hat unlängst einen Gesetzesvorschlag eingebracht, um den überbordenden Alkoholkonsum in dem osteuropäischen Land einzudämmen. Demnach soll künftig in Geschäften zwischen 22 Uhr abends und 6 Uhr morgens kein Alkohol mehr verkauft werden dürfen. An Tankstellen und in medizinischen Einrichtungen sollen Verkäufe sogar ganz verboten werden. Und online wären sie nur noch mit Abholung und gegen Ausweisprüfung möglich. Zudem soll eine Alterskontrolle bei jedem Einkauf verpflichtend sein.
Die ebenfalls regierende „Polen 2050“-Partei will noch einen Schritt weiter gehen: Das Verkaufsverbot von Alkohol soll lokal bis 9 Uhr verlängert werden können, steht in einem zweiten eingebrachten Gesetzesentwurf. Auf Alkoholverpackungen sollen Gesundheitswarnungen angebracht werden. Werbung für Alkohol oder Rabattaktionen ("12 + 12 gratis") sollen gänzlich untersagt, Lizenzen für den Verkauf von Alkohol teurer werden. Bei Verstößen sollen Geldstrafen drohen.
Viele Alkoholtote im Land
Die Debatte über den hohen Alkoholkonsum in Polen ist nicht neu, erhält aber durch die beiden Vorstöße neuen Schwung. So hat Polen laut aktuellsten Eurostat-Daten (2022) nach Slowenien die zweithöchste Zahl an Alkoholtoten in der Europäischen Union. Die Bekämpfung der Folgen des Alkoholismus beziffern Experten mit 93 Milliarden Złoty, umgerechnet 21,8 Mrd. Euro jährlich. „Die Kosten, die wir für den Konsum und Missbrauch von Alkohol in unserem Land zahlen, belaufen sich auf zwei Prozent unseres BIP. Das ist eine enorme Summe“, sagte die Suchtexpertin Katarzyna Andrusikiewicz jüngst in einer TV-Debatte.
Ein von Experten häufig vorgebrachter Kritikpunkt: Alkohol ist in Polen leicht und ständig verfügbar. Mit Stand Ende 2023 gab es dort 119.000 Verkaufsstellen. Zum Vergleich: Das bei Alkohol sehr restriktive Schweden zählt landesweit nur 900 Alko-Shops, berichtet Politico. Also so viele, wie es allein in der polnischen Großstadt Radom sind.
Dabei gilt: „Je größer die Verfügbarkeit von Alkohol, desto größer der Verkauf, desto größer der Konsum. Je größer der Konsum, desto mehr alkoholbedingte Probleme gibt es“, so Bohdan Woronowicz, Suchtexperte und Gründer des Suchttherapiezentrums am Institut für Psychiatrie und Neurologie in Warschau zum Onlineportal Fakt.pl.
Gemeinden preschen vor
Ob die jüngsten Gesetzesentwürfe tatsächlich Realität werden, ist unklar. Das Parlament soll sich ab Ende Oktober damit befassen. Dass Handlungsbedarf besteht, zeigt jedoch, dass bereits 180 polnische Gemeinden vorgeprescht sind und eigenständig nächtliche Verkaufsverbote eingeführt haben – mit messbaren Erfolgen, wie Polens Nationales Zentrum zur Bekämpfung von Suchterkrankungen (KCPU) festhält.
Eine Umfrage ergab demnach, dass in mehr als der Hälfte der Gemeinden, die entsprechende Maßnahmen eingeführt haben, die Zahl der alkoholbedingten Behördeneinsätze zurückgegangen ist. 42 Prozent der Befragten gaben zudem an, das Sicherheitsgefühl der Einwohner habe sich verbessert. Auch in der Hauptstadt Warschau soll ein solches Verbot nun schrittweise eingeführt werden.
Scharfe Kritik an den geplanten Verschärfungen kommt indes von Polens Brauereien, die den Gesetzesentwurf in einem Statement als "eine populistische, von Emotionen angetriebene Überregulierung" bezeichnen. Immerhin, so das Argument, sei der Alkoholkonsum in Polen seit Jahren rückläufig. Tatsächlich ist der Pro-Kopf-Konsum von reinem Alkohol von 9,7 Litern im Jahr 2021 auf 8,8 Liter im Vorjahr gesunken. Denn: Die Polen trinken weniger Bier, der Konsum von Spirituosen blieb jedoch auf vergleichbarem Niveau.
In Österreich lag der durchschnittlichen Konsum pro Kopf im Vorjahr übrigens bei 12,2 Litern reinem Alkohol - und damit über Polen und deutlich über dem EU-Schnitt.
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