Notre-Dame-Wiederaufbau braucht viel mehr Zeit
VonSusanne BobekFrankreichs Kulturminister Franck Riester sagte dem Parisien, er sei „nicht besessen“ davon, die Kathedrale Notre-Dame de Paris in fünf Jahren wieder aufzubauen. Wenn es länger dauere, so dauere es eben länger. „Der Präsident fragt nie, wann die Arbeiten losgehen. Ich habe da keinen Druck“, so Riester. Wichtiger als die Geschwindigkeit sei „die Qualität der Restaurierungsarbeiten“.
Der katholische General
Koordinieren soll den Wiederaufbau der ehemalige Generalstabschef der französischen Streitkräfte, General Jean-Louis Georgelin (71). Er ist Oblate des Benediktinerordens, lebt also wie ein Mönch nach den Ordensregeln, ohne Mitglied im Konvent zu sein. Außerdem ist er Mitglied des päpstlichen Ritterordens vom Heiligen Grab in Jerusalem.
Auch Georgelin will in der Grundfrage, wie viel Gegenwart und wie viel Zukunft nötig ist, um die Vergangenheit zu retten, „keine Zeit in kunsthistorischen Symposien verplempern“. Die Frage, wie modern der neue Dachstuhl werden soll, stellt sich ihm nicht. Denn der ganze Wiederaufbau sei „eine Schlacht“ und eine „Frage des Willens“, das fast 800 Jahre alte Gemäuer überhaupt zu retten.
Fünf Monate nach dem verheerenden Feuer am 15. April wurden am Wochenende im Palais Royal der kupferne Hahn aus dem Dachreiter von Eugène Viollet-le-Duc aus dem 19. Jahrhundert und drei andere gerettete Skulpturen ausgestellt. Viele Menschen standen Schlange, fast alle wollten den Hahn sehen, der seinen Sturz in die Tiefe fast unversehrt überstanden hat.
Das sei Wunder genug. Nach den monatelangen Aufräum- und Sicherungsarbeiten können die Bauarbeiten im Kirchengewölbe wahrscheinlich nicht vor 2020 beginnen.
Notre-Dame ging es vor dem Brand wie vielen anderen Kulturgütern in Frankreich. Bewundert und vernachlässigt, finanziell ausgehungert. Denn der Staat ist Eigentümer aller religiösen Bauwerke. Aber es gibt keine Kirchensteuer, die die Instandhaltung finanzieren könnte. Dafür ist das Kulturministerium zuständig. Bei Kirchen müssen zudem die Kommunen geradestehen, was vor allem auf dem Lande fast unmöglich ist. Deshalb verfallen viele Kirchen und Klöster fern von Paris.
Aber das gehört zur Tradition: Notre-Dame wurde während der Französischen Revolution im Bildersturm ausgeplündert.
Doch erst 1844 befahl Louis-Philippe I., der Bürgerkönig, die Restaurierung der Kathedrale. Eugène Viollet-le-Duc wurde damit beauftragt, ein Vorreiter des Historismus. Seine Gegner nannten ihn und seine Schüler damals „vandalisme restaurateurs“ („Restaurierungs-Vandalen“). Der von ihm gebaute und heuer eingestürzte Vierungsturm, war schon der zweite. Der erste wurde 1230 errichtet und stürzte Mitte des 18. Jahrhunderts ein.
Frühe Freizügigkeit
In früheren Jahrhunderten ging man mit historischen Gebäuden viel freizügiger um. In der Gotik fand man die Kirchen aus der Romanik zu dunkel. Bei Notre-Dame war der Bau gegen 1300 fertig, als man fand, das Querschiff sei zu altertümlich und zu klein, die Kirche brauche mehr Licht. Man riss das Gebaute wieder ab, vergrößerte, baute neue Querfassaden mit großen Rosetten und neuen Portalen. Beim Hauptschiff wurden die Lichtgaden, die oberste Fensterreihe, vergrößert. So werkte man gut 400 Jahre, bis die Kathedrale ihre Form fand.
Im Barock fand man das Mittelalter altmodisch. Man setzte der romanischen und gotischen Kirche repräsentativere Schaufassaden vor, erhöhte die flachen Decken und peppte die Innenräume mit Stuck, Blattgold und falschem Marmor zu festlichen Gotteshäusern auf. Die Franzosen haben sich noch nicht entschieden, wie Notre-Dame künftig aussehen soll.
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