Nach Brückeneinsturz von Genua: Niemanden trifft eine Schuld

Ein Jahr nach der Katastrophe mit 43 Toten gibt es nur Ermittlungen, aber keine Anklage

Genua, 14. August 2018, 11.36 Uhr. Es stürmt, es gewittert, es regnet in Strömen. Ein grüner Kleinlaster fährt auf die Morandi-Brücke Richtung Innenstadt. Ein anderes Auto überholt ihn und ist plötzlich weg, in die Tiefe gestürzt.

Der Fahrer des Kleinlasters legt den Retourgang ein, setzt ein paar Meter zurück, springt aus dem Wagen und flüchtet zu Fuß. Sein grüner Kleinlaster bleibt auf dem Brückenrest stehen, noch tagelang. Er wird zum Symbol des Einsturzes.

Ein Jahr nach dem Brückeneinsturz von Genua mit 43 Todesopfern ist noch nicht geklärt, wer für das Unglück verantwortlich ist.

In Italien werden die Autobahnen wie die A10 in Genua nicht mehr vom Staat betrieben, sondern von Privatfirmen, die dafür Mautgebühren bekommen. Nach der Katastrophe wurde deshalb Autostrade per l’Italia verantwortlich gemacht – eine Tochter des Unternehmens Atlantia, dessen wichtigster Aktionär die Milliardärsfamilie Benetton ist. Doch die Benettons sehen keine Schuld.

Ein technisch-juristisches Gutachten besagt, dass fehlende Instandhaltungsarbeiten den Einsturz verursacht haben. Die Stahlseile inmitten der Betonhüllen aus den 1960er-Jahren seien zum Teil kaum noch vorhanden gewesen – jedenfalls in dem Abschnitt der Brücke, der zusammengebrochen ist. Für die Betreibergesellschaft Autostrade per l’Italia ist das aber kein Beweis.

Gegen 71 Personen und zwei Firmen wird ermittelt. Doch die Benettons sind mit ihrem Konzern Atlantia gerade bei der teilstaatlichen Alitalia eingestiegen und damit wieder mit staatlichen Stellen schwer verbandelt.

Nach Brückeneinsturz von Genua: Niemanden trifft eine Schuld

Plan: Neubau in Rekordzeit

In Genua wurden Ende Juni die Brückenreste gesprengt. Nach den Plänen des Genueser Star-Architekten Renzo Piano wird eine neue Brücke gebaut. In Rekordzeit, denn sie soll bereits im April 2020 eingeweiht werden. Dazu haben sich die Baufirmen verpflichtet, sie wollen dieses Prestigeprojekt mit doppelt so vielen Arbeitern und Gerät pünktlich hinbekommen. Die Bauarbeiten behindern jetzt zusätzlich den Verkehr. Denn die 70.000 Fahrzeuge, die pro Tag über die Brücke Richtung Frankreich fuhren, schlängeln sich jetzt durch enge Gassen.

Die Stadt hat sich von dem Unglück nicht erholt. Die Bewohner, die unterhalb des Viadukts wohnten, mussten ihr Viertel verlassen. Sie wurden umgesiedelt, viele allerdings erst in Übergangswohnungen am Stadtrand. Sie bekamen Entschädigung, sagen aber, Geld sei nicht alles. Vor allem die Älteren fühlen sich heute entwurzelt und haben dabei noch ein schlechtes Gewissen, weil andere gestorben sind.

Ein Brief von Papst Franziskus an die Genueser wurde am Dienstag veröffentlicht. Er bete „für euch alle

in Genua“. Je mehr sich die Menschen ihrer Zerbrechlichkeit bewusst würden, so der Papst, desto mehr entdeckten sie „den Wert menschlicher Beziehungen, die uns verbinden“ – in der Familie, der Gemeinde und in der Gesellschaft.

Ein Unglück wie in Genua könne sich jederzeit wiederholen, denn Italiens Brücken sind marode, schreiben die Zeitungen. Innenminister Matteo Salvini macht dafür die EU verantwortlich, die Italien zur Sparsamkeit gezwungen habe. Danielo Toninelli, Minister für Infrastruktur verurteilt die Autostrade per l’Italia, die die höchste Maut kassiere und den nötigen Unterhalt vernachlässige.

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