Morandi-Brücke in Genua: „Jedes Mal ein mulmiges Gefühl“

Morandi-Brücke in Genua: „Jedes Mal ein mulmiges Gefühl“
Nach dem Tod von mehr als 40 Menschen beim Brückeneinsturz in Genua gibt es viele Schuldzuweisungen

Von einer „offenen Wunde“ für die Stadt Genua, die Region Ligurien und Italien sprechen italienische Medien nach dem Einsturz der Morandi-Brücke. Die Zahl der Toten stieg auf 42 Personen, darunter auch drei Kinder. 16 Menschen wurden verletzt, und 13 galten zunächst als noch vermisst. Rund

30 Fahrzeuge waren zum Zeitpunkt des Einsturzes auf der Brücke unterwegs: Am Mittwoch wurde in den Trümmern und Betonblöcken weiter nach Überlebenden gesucht. 440 Personen wurden aus den umliegenden Wohnhäusern evakuiert. Ein verbleibender Brückenteil war akut einsturzgefährdet.

„Die Hoffnung stirbt nie, wir haben bereits ein Dutzend Menschen aus den Trümmern gerettet“, sagt der Feuerwehrmann Emanuele Gissi. Die Helfer bleiben weiter „rund um die Uhr“ im Einsatz. Tausend Einsatzkräfte sind an den Bergungsarbeiten beteiligt, darunter Feuerwehr, Polizei, Rotes Kreuz. Da die Brücke Morandi auch zum Flughafen führte und an die Blumenriviera, war sie für Genuesen auch Symbol für den Aufbruch in den Urlaub.

So wie für die Familie Robbiano, die mit ihrem 7-jährigen Sohn Samuele über den Feiertag ein paar unbeschwerte Tage am Meer verbringen wollte. Stattdessen stürzten sie in den Tod. Die Tageszeitung Corriere della Sera listet Namen und Fotos der bisher identifizierten Opfer auf.

Morandi-Brücke in Genua: „Jedes Mal ein mulmiges Gefühl“

Warnsignale ignoriert

Neben der Trauer macht sich auch Wut unter den Betroffenen breit. Menschliches Versagen sei schuld an dem Brückeneinsturz, so der Tenor. „Seit zehn Jahren hörte man immer wieder von Problemen. Offensichtlich gab es gröbere Schwierigkeiten“, sagt eine Signora, deren Auto knapp 50 Meter vor dem Unglücksort zum Stehen kam. „Jedes Mal, wenn ich auf die Brücke fuhr, hatte ich ein mulmiges Gefühl, wie auf einem fliegenden Teppich. Das Straßenniveau war nie vollständig eben. Die Konstruktion machte Geräusche wie eine alte Eisenbahn. Wenn dann auch noch ein starker Wind ging, begannen die Pfeiler zu schwanken“, erzählt ein Genuese, der wie viele Bewohner hunderte Male den Ponte Morandi überquerte. „Wir hatten oft Alarm geschlagen und fürchteten, dass früher oder später alles einstürzen würde“, sagt der Anrainer.

Politisches Hickhack

Verkehrsminister Danilo Toninelli hat die Führung der Betreibergesellschaft „Autostrade per l’Italia“ zum Rücktritt aufgefordert. Zugleich kündigte er an, dass dem Unternehmen die Lizenz zum Betrieb der Straße entzogen werden solle und es mit Strafzahlungen von 150 Millionen Euro belegt werden könnte. Autostrade weist die Vorwürfe zurück: Man habe das Bauwerk gemäß den gesetzlichen Vorgaben alle drei Monate kontrolliert, erklärte die Aktiengesellschaft, deren größter Aktionär über eine Beteiligung die Familie Benetton ist.

Morandi-Brücke in Genua: „Jedes Mal ein mulmiges Gefühl“

Fünf-Sterne-Chef und Vize-Premier Luigi Di Maio machte gegenüber Radio Radicale ebenfalls das Unternehmen für die Tragödie verantwortlich: „Autostrade muss für die Instandhaltung sorgen und hat dies nicht gemacht.“ Innenminister und Vize-Premier Matteo Salvini von der rechtspopulistischen Lega Nord sprach sich ebenfalls für einen Entzug der Lizenz aus. Das sei das Mindeste, was man erwarten könne.

Salvini macht aber auch einen anderen Sündenbock aus: Die EU mit ihren Euro-Stabilitätskriterien. In einem Tweet beschuldigte er Brüssel, Italien „daran zu hindern, Geld in die Sicherheit der Schulen und Straßen zu stecken, in die unsere Kinder gehen und auf denen unsere Arbeiter fahren“. Dabei hat die Union Italien erst heuer aufgefordert, in Infrastruktur zu investieren, und vor einem Jahr ein Verfahren wegen mangelnder Ausschreibungen beim Autobahnbau eröffnet. In der Förderperiode 2014–2020 kann Italien der Tageszeitung Il Fatto Quotidiano zufolge außerdem bis zu 31 Milliarden Euro an Kofinanzierungsmitteln aus Brüsseler Fördertöpfen lukrieren.

Viele Brücken baufällig

Morandi-Brücke in Genua: „Jedes Mal ein mulmiges Gefühl“

Premier Giuseppe Conte steht nun unter großem Zeitdruck, das bei Amtsantritt angekündigte Infrastrukturprogramm in Angriff zu nehmen. Die Brücken-Katastrophe lässt in Italien die Alarmglocken schrillen. Experten warnen davor, dass insgesamt 60 Prozent aller Brücken und Tunnel baufällig sind. Der Grund dafür liegt in einer veralteten Infrastruktur und schlechter Wartung. Laut Tageszeitung La Repubblica sind um die 300 Brücken und Tunnel akut einsturzgefährdet. Zudem sind 50.000 Straßenabschnitte landesweit kaputt, was zu teils schweren Unfällen führt.

Die Fünf-Sterne-Bewegung ist nach dem Einsturz in das Zentrum einer Polemik geraten. Fünf-Sterne-Gründer Beppe Grillo, der in Genua lebt, hatte sich gegen ein neues Autobahnprojekt ausgesprochen, das die Morandi-Brücke entlasten sollte. Auf seinem Blog schimpfte er 2014 gegen die Baukosten in Milliardenhöhe: „In regelmäßigen Abständen erzählen sie uns das Märchen vom Einsturz des Ponte Morandi, um ihre Bauprojekte durchzusetzen.“

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