Gesehen, getragen, gelesen: Österreichische Kunst in London
Er hat die Mütze bis über die Augenbrauen und den Schal bis über die Nase gezogen, weiße Flocken wirbeln ihm ins Gesicht. Mit jedem Schritt sinkt er knietief in den Schnee und bei jedem Knacksen drängt sich die Frage auf, ob irgendwo ein Eisbär lauert.
„Es war eine Herausforderung“, sagt Gregor Sailer über seine Polarreise. Nicht nur wegen der Kälte und dem Wind, sondern auch der 30-Kilo-Fotoausrüstung und der Einsamkeit. Trotzdem reiste der Tiroler Fotograf fünf Jahre lang durch die arktischen Regionen, um die Industrialisierung des Nordpols festzuhalten. Seit Freitag ist seine Fotoausstellung "Polar Silk Road" im Naturhistorischen Museum zu sehen – jedoch nicht in jenem am Wiener Ring, sondern an der Londoner Cromwell Street.
Als Waltraud Dennhart-Herzog vor zwei Jahren von Sailers Projekt erfuhr, war der Direktorin des Österreichischen Kulturforums in London sofort klar, dass das Thema breite Aufmerksamkeit verdient. Ihre Kollegen im Naturhistorischen Museum sahen das genauso. So ist mit Sailers Großbritannien-Debüt die erste Solo-Ausstellung eines österreichischen Fotografen in Englands meistbesuchter Indoor-Attraktion zu sehen. Das Museum rechnet mit 500.000 Besuchen bis November, das würde alles Bisherige in den Schatten stellen.
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Fair-Fashion-Design
Mit der Designerin Gunda Hafner hat Sailer derzeit sowohl den Ausstellungsort als auch den Fokus auf Umweltschutz gemein – wenn auch auf unterschiedlichen Gebieten: Die gebürtige Steirerin Hafner schneidert seit sieben Jahren nachhaltige Mode aus Naturfasern. Ihre Kleidungsstücke verkauft sie nicht nur online, sondern derzeit auch in einem Pop-up-Shop im schicken Londoner Stadtviertel Marylebone. In der Nummer 67 der York Street hängen leichte Leinenhosen und handgestrickte Tops im raumhohen Schaufenster. „Es ist schön, wie offen London ist“, sagt Hafner. Beim Spazieren durch die Gassen bekomme sie Inspiration.
Gunda Hafner in ihrem Pop-Up-Store im Londoner Stadtviertel Marylebone
Hafner ist nicht die einzige österreichische Fair-Fashion-Designerin in London: Seit November 2019 befindet sich in Hackney das Studio von Sabinna Rachimova aus Wien, die im gleichen Jahr für ihr nachhaltiges Engagement von Forbes in die Liste der besten 30 unter 30 aufgenommen wurde.
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Doch nicht nur bei Fotografie und Mode stößt man in der englischen Hauptstadt auf österreichische Werke. Vor wenigen Wochen ist mit dem Austrian Riveter das erste englische Magazin für österreichische Literatur erschienen – mit Beiträgen renommierter Autoren wie Doron Rabinovici oder Daniel Kehlmann.
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Kehlmann ist immer gerne in London, erzählt er beim Launch. Seine Übersetzungen ins Englische seien aber besonders für ihn – vor allem die Theaterstücke: „Durch Tom Stoppard und Christopher Hampton, die bessere Dramatiker sind als ich, sind auch meine Texte noch besser geworden.“
- Polar Silk Road: Gregor Sailers Fotoausstellung im Londoner Naturhistorischen Museum, zu sehen bis November 2023. Details: www.nhm.ac.uk
- Gunda Hafner: Faire Mode, Pop-Up-Shop noch bis 3. Juni in der 67 York Street Gallerie, London, W1H 1QA. Online: https://gundahafner.com
- Sabinna (Rachimova): Nachhaltige, innovative Mode. Studio: 121 Monier Rd, London E3 2PS. Online: www.sabinna.com
- Austrian Riveter: Englisches Magazin über österreichische Literatur, initiiert von Journalistin Rosie Goldsmith. Details: www.eurolitnetwork.com
- London Design Biennale: Von 1. bis 25. Juni kann man im Somerset House, Strand London WC2R 1LA, im österreichischen Pavillon mit allen Sinnen Brot backen. Details: https://londondesignbiennale.com
New Books in German
Bald könnte es noch mehr Übersetzungen geben; dafür macht sich die Initiative New Books in German stark. Neun der 25 Bücher in ihrem aktuellen Programm, in dem sie deutschsprachige Werke englischen Verlagen schmackhaft machen, stammen aus Österreich.
Und bei der London Design Biennale, die diese Woche startet, ist Österreich mit einem Produkt vertreten, das Ausgewanderten besonders abgeht: Besucher können das Brotbacken in allen Sinnen erfahren. Denn Teigverarbeitung, so die Kuratoren, soll als Kulturtechnik ganz neue Bedeutung erfahren.
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