"Jetzt oder nie": Klimabericht fordert grundlegenden Wandel
Nur alle sechs bis sieben Jahre wird ein umfangreicher Bericht des Weltklimarates veröffentlicht. Er gilt als eine Art Gebrauchsanweisung für die Politik der 195 Mitgliedsstaaten. Hauptthema des am Montag veröffentlichten Berichts waren Maßnahmen, um die Klimakrise und ihre Folgen reduzieren. Insgesamt 278 wissenschaftliche Autorinnen und Autoren aus 65 Ländern haben für den sechsten Sachstandberichts des Weltklimarats (IPCC) mehr als 18.000 zitierte Quellenangaben untersucht.
In den von den Wissenschaftern bewerteten Szenarien muss die globale Emission von Treibhausgasen bis spätestens 2025 ihren Höhepunkt erreichen. Ansonsten sei die Begrenzung der Erwärmung auf 1,5 Grad nicht realisierbar. Zudem sei es erforderlich, dass der Ausstoß der Treibhausgase bis 2030 um 43 Prozent gesenkt werden. Gleichzeitig müsse auch der Methanausstoß um etwa ein Drittel reduziert werden.
Klare Signale
"Es heißt jetzt oder nie", sagte Ko-Vorsitzender des Berichts, Jim Skea, mit Blick auf die Pariser Klimaziele. "Ohne sofortiger und tief greifender Reduktion der Emissionen über alle Bereiche hinweg, wird es unmöglich sein." Der Bericht zeige auf, dass die Finanzströme mit dem Faktor drei bis sechs deutlich unter dem benötigten Niveau liegen, die Erwärmung auch nur unter zwei Grad zu begrenzen. Die gute Nachricht sei aber, dass es ausreichend Kapital und Liquidität gebe, um diese Investitionslücke zu schließen. Dazu bedürfe es aber eines klaren Signals der Regierungen und der Weltengemeinschaft.
Hart fiel das Urteil von UN-Generalsekretär Antonio Guterres: "Es ist ein Dokument der Schande, ein Katalog der leeren Versprechen, die die Weichen klar in Richtung einer unbewohnbaren Erde stellen", sagte er in einer Videobotschaft zum neuen Bericht. "Sie ersticken unseren Planeten", sagte Guterres über Regierungen und Firmen, die für hohe Treibhausgas-Emissionen verantwortlich sind. Die wahren gefährlichen Radikalen seien nicht Klimaaktivisten, sondern jene Länder, die die Produktion von fossilen Brennstoffen ausbauen. Solch eine Strategie sei "moralischer und wirtschaftlicher Wahnsinn".
"Wir stehen an einem Scheideweg. Die Entscheidungen, die wir jetzt treffen, können eine lebenswerte Zukunft sichern", sagte IPCC-Vorsitzende Hoesung Lee. Die Welt verfüge über ausreichend Instrumente und Wissen, um die Erderhitzung entsprechend des Pariser Klimaabkommens zu begrenzen. Viele Vorschriften, Regulierungen und Instrumente am freien Markt hätten sich in der Vergangenheit als wirksam erwiesen. Wenn diese in noch größerem Umfang angewandt werden würden, könnten Emissionen deutlich gesenkt und Innovationen weiter gefördert werden.
Fossile Brennstoffe reduzieren
Größtes Potenzial liege im grundlegenden Wandel des Energiesektors: Der Einsatz sogenannter fossiler Brennstoffe, also etwa Kohle, Erdgas und Erdöl, muss drastisch reduziert werden, hieß es in dem Bericht. Dafür müsse eine breit angelegte Elektrifizierung beschleunigt vorangetrieben werden und neben einer verbesserten Energieeffizienz auch häufiger auf alternative Brennstoffe, wie etwa Wasserstoff, zurückgegriffen werden.
"Änderung unserer Lebensweise"
Mit den richtigen politischen Maßnahmen, Infrastrukturen und Technologien könne ein Wandel unseres Lebensstils ermöglicht werden, der die Treibhausgasemissionen bis 2050 um 40 bis 70 Prozent sinken lässt, war sich Ko-Vorsitzende der IPCC-Arbeitsgruppe III, Priyadarshi Shukla, sicher. "Das bietet ein erhebliches ungenutztes Potenzial", so Shukla. Die Änderungen unserer Lebensweise, die dem Klima guttun, würden auch die Gesundheit der Menschen verbessern. Weniger Fleischkonsum oder mehr Fahrradfahren habe so doppelt positive Effekte.
Effizienter Leben
Große Bedeutung komme auf Städte zu: Die Wege für Bewohner müssten so angelegt werden, dass viel zu Fuß gegangen werden kann, den öffentlichen Verkehr gelte es zu elektrifizieren und beim Bau neuer Häuser auf Energieeffizienz zu setzen. Positive Beispiele dafür gebe es in allen klimatischen Zonen der Welt. Der Zusammenschluss von Parks und offenen Flächen könne etwa das Risiko von Überschwemmungen reduzieren und gleichzeitig Hitzeinseln eindämmen.
Problemfall Industrie
Laut Studienautoren entfällt ein Viertel der weltweiten Emissionen auf die Industrie. Um dort einen Umschwung zu schaffen, gelte es, das verwendete Material noch besser einzusetzen. Dabei helfe die Wiederverwendung und das Recycling von Produkten. Zudem sollten Abfälle reduziert werden. Produktionsweisen, die frei von Treibhausgasen sind, seien bei Grundstoffen wie Stahl, Baumaterialien und Chemikalien aktuell noch nicht serienreif. Einige Ideen seien noch in der Pilotphase, manche aber kurz vor der Marktreife.
Treibhausgas-Senken
Auch in der Landwirtschaft, mit Wäldern und mit anderen natürlichen Flächen kann viel Treibhausgas, das für die Erderhitzung verantwortlich ist, eingespart werden und diese Einsparungen hätten letztendlich sogar einen doppelten Nutzen. Umgewidmetes Land kann einerseits als System fungieren, das mehr Kohlenstoff aufnimmt als es selbst abgibt. Im Fachausdruck wird dies als "Kohlenstoffsenke" bezeichnet. Andererseits können diese natürlichen Einheiten der Biodiversität helfen und als Lebensgrundlage für Frauen und Männer dienen, die dadurch mit Essen und Trinken versorgt werden.
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