Giftwolke mit politischem Fallout

Giftwolke mit politischem Fallout
Krim.Ein Gift-Unfall weckt Tschernobyl-Erinnerungen – Kiew und Moskau schieben einander die Schuld zu

Dass da etwa ganz und gar nicht stimmt, hatten die Bewohner des Städtchens Armjansk im Norden der von Russland besetzten Krim bereits am 23. August bemerkt: Jucken, Brennen in den Atemwegen, Ausschläge. Dann fielen einige Tage später noch grüne Blätter von den Bäumen. Schließlich bildete sich an Metallobjekten ein rostartiger schmieriger Film. Ein Verdacht lag auf der Hand: Das Chemiewerk Ukrainian Chemical Products nahe der 20.000-Einwohner-Stadt.

Ganze zwei Wochen dauerte es aber, bis die Behörden auf der annektierten Halbinsel reagierten. Und die Art, wie sie reagierten, sorgt für Unmut, weckt das ganze Prozedere doch Erinnerungen an die Katastrophe von Tschernobyl im April 1986, die tagelang verschwiegen worden war, um die Maiaufmärsche nicht zu gefährden.

Nachdem noch am Montag ganz in postsowjetischer Manier mit großem Trara in der Stadt die Schulen öffneten – ein traditionell riesiges Event –, ordneten die Behörden Tags darauf die Schließung von Kindergärten und Schulen an. Kinder wurden aus der Stadt gebracht. Später wurde auch das Chemiewerk geschlossen. Grenzwerte seien überschritten worden, so Russlands Statthalter auf der Krim, Sergej Aksjonow. Die Sache werde untersucht. Gefahr bestehe aber nicht.

Demnach wurden in und um die Stadt hohe Dosen an Schwefeldioxid in der Luft gemessen. Das deckt sich mit Angaben aus der Ukraine – das Chemiewerk, das zu Dmytro Firtaschs Imperium gehört, liegt auf russischer Seite direkt an der administrativen Grenze zwischen ukrainisch und russisch kontrolliertem Gebiet . Beschwerden meldeten auch Bewohner auf dem ukrainischen Festland. Zwei Übergänge von der Ukraine auf die Krim wurden von Kiew geschlossen.

Politikum

Bei dem Chemiewerk handelt es sich um eines der größten Europas. Dort werden Titandioxid, Kunstdünger und andere chemische Stoffe hergestellt. In Verdacht ist jetzt vor allem die Titandioxid-Produktion, für die in großem Umfang Schwefelsäure benötigt wird.

Die Ursachenfindung allerdings dürfte zu einem Politikum werden. Nach Darstellung der russischen Behörden auf der Krim gilt es als wahrscheinlich, dass das Verdunsten einer Wasser-Schutzschicht auf einem Schwefelsäure-Depot in Folge hochsommerlicher Temperaturen die Ursache ist. Die Versorgung der Krim mit Wasser ist seit der Einverleibung der Halbinsel durch Russland hochumstritten. Wasserlieferungen vom ukrainischen Festland durch den Nord-Krim-Kanal wurden eingestellt – was auf der Krim, die vor allem von Landwirtschaft und Tourismus lebt, Wasserknappheit zur Folge hat.

Kiew macht indes eine russische Artillerieübung für die Giftwolke verantwortlich. Ende August hätten russische Einheiten nahe der De-Fakto-Grenze geübt, Granaten hätten nahe Chemie-Tanks eingeschlagen, so das Verteidigungsministerium.

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