Mordanklage: Das Martyrium eines 3-Jährigen
Der Spielplatz vor der kleinen Wohnsiedlung, in der die Familie lebte und das Kind starb (Archivbild)
Fassungslosigkeit. Die hatte sich im Mai 2024 in einem Tiroler Dorf und in der unmittelbaren Nachbarschaft einer sechsköpfigen Familie in einer schmucken Neubausiedlung breitgemacht. In der Wohnung eines Mehrparteienhauses hatten Rettungskräfte am Pfingstmontag die Leiche eines Dreijährigen entdeckt.
"Das Kind ist verhungert"
Der Zustand des Buben – offenkundig massiv unterernährt – weckte sofort schwerste Bedenken, die sich nach der Obduktion bestätigten: "Das Kind ist verhungert. So etwas passiert nicht von heute auf morgen", erklärte Hansjörg Mayr, Sprecher der Staatsanwaltschaft Innsbruck.
Die Eltern wurden unter Mordverdacht in Untersuchungshaft genommen. Es sei davon auszugehen, so Mayr damals, dass Vater und Mutter "den Tod des Buben billigend in Kauf genommen haben". Die Realität des monatelangen Martyriums des Dreijährigen stellte sich den Ermittlern noch viel grausamer dar, wie nun klar ist.
6 Monate gefoltert
Am Dienstag hat die Staatsanwaltschaft – nicht rechtskräftig – Anklage gegen die Eltern wegen Quälens, Freiheitsentziehung und Mord erhoben. Das Paar habe das im Februar 2021 geborene Kind ab Dezember 2023 "vorsätzlich zu Tode gequält". Etwa ein halbes Jahr lang also sollen Vater und Mutter, die auch Eltern von drei kleinen Mädchen sind – darunter die Zwillingsschwester des Buben – diesen regelrecht gefoltert haben.
Bub wog nur noch 7 Kilogramm
Als er schließlich den Qualen erliegt und an schwerer Unterernährung und Flüssigkeitsmangel stirbt, wiegt das Kind nur noch sieben Kilogramm. Was die Eltern dem Buben angetan haben dürften, ist schier unbeschreiblich und soll nicht in allen Details geschildert werden. Die Beweislast dürfte erdrückend sein.
Laut Staatsanwaltschaft haben die Angeklagten die Misshandlungen des Buben "teilweise auch gefilmt und mit einer Überwachungskamera live mitverfolgt", sowie mit Fotos dokumentiert.
Das Kind "muss vernichtet werden"
In Chats und Mails sollen sie sich zudem über die Misshandlungen ausgetauscht und gegenseitig darin bestärkt haben, dass das Kind "vernichtet werden muss".
Innerhalb der Familie wurde der Bub laut Anklage isoliert und weggesperrt, die Eltern hätten ihn "vollkommen entmenschlicht, erniedrigt und verängstigt". Das Kind soll unter anderem geschlagen und bei verbundenen Augen gefesselt worden sein. Um Schreie zu unterbinden, soll ihm der Mund zugeklebt worden sein.
Das Kind wurde vollkomen entmenschlicht, erniedrigt und verängstigt. Die Misshandlungen wurden teilweise auch gefilmt und mit einer Überwachungskamera live mitverfolgt.
Bei einem KURIER-Lokalaugenschein im Mai des Vorjahres berichtet eine regelmäßige Besucherin der Wohnanlage, dass sie den Buben "ewig nicht gesehen" habe.
"Hätten wir etwas bemerken müssen?"
Es sei immer wieder Kinderschreien zu hören gewesen, aber das Paar habe eben auch ein Baby. Ein Nachbar kann "nicht glauben, dass das neben dem eigenen Haus passiert". Eltern, die ihre Kinder jeden Tag in den Kindergarten bringen, in den auch die älteste Schwester des Buben geht, fragen sich: "Hätten wir etwas bemerken müssen?"
Die Dimensionen des Schreckens sind da noch bei Weitem nicht bekannt.
Die Anklage beschreibt unter anderem, dass der Dreijährige in eine Schublade eingeschlossen worden sein soll und dort teilweise eine Woche durchgehend 22 Stunden am Tag ausharren musste.
Ein "Dämon" im Körper
Die Familie lebte laut Staatsanwaltschaft sehr zurückgezogen, was sich auch in KURIER-Gesprächen mit den Anwohnern so darstellte. Die Anklage geht davon aus, dass sich die Eltern in eine konstruierte Welt geflüchtet haben, in der ein Dämon im Körper des kleinen Buben lebte, der vernichtet werden müsste. Ein psychiatrisches Gutachten attestiert den 27-Jährigen eine Persönlichkeitsstörung mit sadistischen Zügen.
Sadistisch, aber zurechnungsfähig
Was die beiden aber nicht gewesen sein sollen: unzurechnungsfähig. Die Mutter zeigte sich geständig und erklärte ihr Handeln mit dem Dämon. Der Vater hat zwar erklärt, geständig zu sein und das Geschehene zu bereuen, machte aber ansonsten keine Angaben.
Im Falle eines Schuldspruchs droht den Angeklagten eine lebenslange Freiheitsstrafe. Bei der Mutter sieht das psychiatrische Gutachten die Gefahr, dass sie wieder ein derartiges Verbrechen begehen könnte. Für sie beantragt die Staatsanwaltschaft die Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum. Die Schwestern des Buben, die körperlich unversehrt geblieben sind, wurden in Pflegefamilien untergebracht.
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