Szenen wie diese

Sonntagnacht in der allerletzten 41er-Straßenbahn stadtauswärts. Auf dem Einzelsitzplatz links des Ausstiegs mit dem Rücken zur Fahrtrichtung lümmelt ein Student. Er wirkt betrunken. In seiner rechten Hand baumelt ein Obstsackerl mit zwei Dosen Bier.

Kurz vor dem Aumannplatz stellt sich ein Mann neben ihn, der aussteigen möchte. Seine Jacke ist zerschlissen, seine Jeans hat Löcher und Flecken, er trägt offene Sandalen und zerlumpte Socken. Als er da so steht, mit leerem Blick und gesenkten Schultern, streckt ihm der Student auf einmal das Obstsackerl mit den Bierdosen entgegen. Der Mann reagiert zuerst nicht. Es wirkt, als hätte er Sorge, dass sich der betrunkene junge Mann, über ihn lustig machen könnte. Der aber streckt ihm das Sackerl noch ein wenig näher hin. Bis der Mann es vorsichtig ergreift, an nur einem Henkel, als wäre es ihm unangenehm, dieses Geschenk anzunehmen. Als sich die Automatiktüren der Niederflurstraßenbahn öffnen, sehen sich die beiden kurz an, der Mann nickt dem Studenten zu und verschwindet in die Nacht.

Es sind Szenen wie diese.

Es ist die feine ältere Dame, die sich auf der spätabendlichen Mariahilfer Straße zu einem obdachlosen Mann in einer Häusernische beugt und sagt: "Na geh’n S’, erna is da doch zu kalt, wollen S’ nicht irgendwo hingehen?"

Es ist die Verkäuferin einer Boutique, die einer Kundin zwei Gassen lang hinterher sprintet, weil die ihre Handtasche im Geschäft stehen lassen hat.

Es ist der Straßenbahnfahrer am Schottentor, der schon im Anfahren war und noch einmal abbremst, um die Tür für den jungen Mann zu öffnen, der keuchend und sich bedankend ins Wageninnere klettert.

Es ist ein Zeitungsverkäufer, der einer Stammkundin ihre Lieblingszeitschrift in die Hand drückt und – als sie ihn verwirrt ansieht – schulterzuckend erklärt "Einfach mal so".

Es sind diese kleinen Gesten die Hoffnung geben, dass es um die Menschlichkeit in unserer Gesellschaft doch noch nicht allzu schlecht bestellt ist.

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