Schnappatmung
Es gibt einen neuen Begriff, der sich Helikoptermoral schimpft: Dabei geht es darum, zu jedem x-beliebigen Thema sofort eine Meinung zu haben. Am besten noch bevor man verstanden hat, worum es eigentlich geht. Hauptsache, man packt augenblicklich die Moralkeule aus und schlägt zu.
Mitspielen kann jeder, der sich gern aufregt. Egal ob über Designer-Jeans, die gut 400 Euro kosten, aber ausschauen, als würden sie vor Dreck von selbst stehen (Frechheit! Eine Verkleidung für Reiche, die sich über echte Arbeiter lustig machen!) oder über ein AK-OÖ-Video, in dem eine Karikatur eines Kapitalisten den Frauen Scheine in den Ausschnitt stopft (Prähistorisch! Klassenkampf von gestern! Überhaupt gar nicht lustig! Echt nicht! Pfui!).
Ein Ignorieren von Werbe-Gags und PR-Schmähs ist für die Helikoptermoral-Gesellschaft keine Option. Sofort setzt eine empörte Schnappatmung ein, es wird gewettert und geschimpft – über wen oder was auch immer.
Den Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer hat diese ständige Aufgeregtheit offenbar so aufgeregt, dass er ein Buch ("Helikoptermoral") darüber geschrieben hat. Er kommt zu dem Schluss: Das Motto "Leben und leben lassen" ist eher ein Auslaufmodell. Heute werde gnadenlos bewertet – jeder und alles. Das ständige Werten sei nämlich ein brauchbares Mittel, um die eigene Unsicherheit zu übertünchen; und das sei in einer immer komplexeren Welt auch hoch notwendig. Klingt neu, ist es nicht.
Ein Beweis dafür steht in einem abgedunkelten Raum im Wiener Palais Mollard. In Form eines ein paar Jahrhunderte alten Globus. Auf ihm neu entdeckte, noch fremde Kontinente, auf denen Kannibalen aufgemalt sind, die ihre Mitmenschen bestialisch zerstückeln und dann verspeisen. Die Kartografen haben vorsichtshalber keinen Fuß auf das Land gesetzt und sich vom Schiff aus ausgemalt, was sich auf diesem fremden Flecken Welt abspielt, erklärt die Führerin im Globen-Museum. So gesehen hat sich die Menschheit in den vergangenen Jahrhunderten eh nicht viel geändert. Man kann sich getrost abregen.
Kommentare