Katastrophe vor 25 Jahren: Als in Kaprun das Leben still stand

Kerzen und Blumen im Vordergrund, dahinter Ortsschild von Kaprun
Am 11. November 2000 sterben bei einem Brand in der Gletscherbahn auf das Kitzsteinhorn 155 Menschen, nur 12 überleben.

Um 9 Uhr läuten am Dienstag in Kaprun (Salzburg) wieder die Glocken zum ökumenischen Gedenkgottesdienst unterhalb des 3.029 Meter hohen Kitzsteinhorns.

Dann ist es fast auf die Minute genau 25 Jahre her, dass die "Kitzsteingams", eine Garnitur der Kaprun Gletscherbahn Richtung Berg startet. Dieser 11. November ist ein strahlend schöner Wintertag, die Vorfreude ist bei den 162 Personen im Zug. Wenige Minuten später sind 150 von ihnen tot.

Im Gegenzug sterben der Zugführer und ein Passagier, selbst in der Bergstation kommen drei Menschen durch die giftigen Rauchgase ums Leben.

"Das Leben stand still"

Nur zwölf Menschen, zwei Österreicher und zehn Deutsche, überleben die größte Katastrophe Österreichs in der Nachkriegsgeschichte, weil sie Fenster mit Skistöcken einschlagen und in ihren Skischuhen nach unten flüchten.

„Das Leben stand still“, sagt Domenik David. Er ist 32 und seit dem Jahr 2023 Bürgermeister von Kaprun. Als das Unglück passierte, war er gerade einmal sieben Jahre alt: „Aus der Erinnerung weiß ich nur, dass die Einwohnerinnen und Einwohner – und darüber hinaus viele, viele andere – völlig schockiert auf das Unfassbare reagiert haben. Aus Erzählungen weiß ich, dass Kaprun gleichsam in Schockstarre war.“

Das Unglück sei bis heute Teil der Geschichte von Kaprun, erklärt David: „Bis heute prägt uns das. Kaprun hat sich in den 25 Jahren seit dem Unglück weiterentwickelt, auch weil es ein neues Zusammengehörigkeitsgefühl gibt.“

Eine Gletscherbahn

Ausgebrannte Gletscherbahn-Garnitur von Kaprun

Männer begutachten ausgebrannten Heizlüfter

Ein Kreuz, darunter Fotos verunglückter Menschen

Gedenkstätte in Kaprun

Am Tag der Katastrophe war der heutige Bürgermeister als Bub mit seiner Familie einkaufen: „Wir haben es in einem Geschäft erfahren.“ Viele wissen bis heute genau, was sie an diesem Samstagvormittag des 11. November 2000 gemacht haben.

32 Opfer allein aus Wels

Auch der Welser Bürgermeister Andreas Rabl. „Ich war in meiner Kanzlei“, erinnert er sich. Er hat einen guten Freund verloren, einen Anwaltskollegen und Welser Gemeinderat. Kaprun ist für Wels „eine kollektive Tragödie“, ist Rabl auch nach 25 Jahren tief bewegt. Denn 32 Menschen aus Wels haben in der Gletscherbahn ihr Leben verloren – auf einem Betriebsausflug. Deshalb gibt es im Rathaus eine Gedenkstelle und jährlich zum Gedenken an die Katastrophe einen Gedenkgottesdienst.

„Die Tragödie hat lange nachgewirkt, auch emotional“, erinnert sich Rabl, „das war auch im Magistrat stark spürbar.“

"Warum so elend sterben....?

Noch dazu hat diese Tragödie alte Wunden in Wels aufgerissen: Etwa zehn Jahre zuvor sind bei einem Betriebsausflug elf Magistratsbedienstete auf einem Betriebsausflug nach Istanbul in einem Hotel bei einem Brand gestorben.

Bei Kaprun bleibt für Rabl die Frage: „Wie kann eine Folge von zufälligen Verkettungen dazu führen, dass so viel Menschen trotz großen Lebenswillens so elend sterben mussten? Mich bewegt, wie schicksalhaft das Leben ist.“

Auch eine andere Frage bleibt bis heute offen: Kann es sein, dass an einer Katastrophe mit 155 Toten niemand Schuld hat?

"Gott hat das Licht ausgemacht"

Dass niemand zur Verantwortung gezogen wird? In diesem Fall müssen die Angehörigen jedenfalls damit leben. Wie die Familie Stieldorf, die den damals 18-jährigen Sohn Matthäus bei dem Unglück verloren hat. „Das Urteil des Richters war: Hier hat der liebe Gott einmal kurz das Licht ausgemacht“, erinnerte sich Johannes Stieldorf fassungslos schon beim 20. Jahrestag vor fünf Jahren in einer ORF-Reportage an das Urteil. Der Verlust sei „wie bei einer Amputation, man lernt damit zu leben, aber der Phantomschmerz bleibt“.

16 Personen waren angeklagt, den Tod der 155 Menschen verschuldet zu haben, darunter der leitende Mitarbeiter der Gletscherbahn, die Chefs anderer am Bau der Standseilbahn beteiligter Firmen, Mitarbeiter aus dem Verkehrsministerium, TÜV-Bedienstete, Bautechniker.

16 Angeklagte, 16 Freisprüche

Eine Hydraulikleitung war im hinteren Führerhaus des Zugs gerissen und auf einen Heizstrahler getropft, der dort nachträglich eingebaut worden war. Das Öl soll explosionsartig den Brand entfacht haben. Die 1972 errichtete Standseilbahn aufs Kitzsteinhorn galt als unbrennbar. Bis eben zu jenem 11. November 2000.

Der Brand hat sich in Sekundenschnelle ausgebreitet, die Feuer und Rauchgase bahnten sich durch die kaminartige Sogwirkung rasch und tödlich den Weg nach oben. Eine strafrechtliche Verantwortung hat das Gericht in Salzburg nicht gefunden, am 20. Februar 2004 werden alle 16 Angeklagten freigesprochen. Auch spätere Verfahren in Deutschland endeten mit diesem Ergebnis.

Zum zehnten Jahrestag haben sich die Gletscherbahn-Verantwortlichen offiziell entschuldigt: „Mit anhaltender Trauer und Erschütterung bitten wir von den Gletscherbahnen Kaprun um Verzeihung.“

"Eine große, schwarze Masse"

Die Katastrophe „geschah in unserem Betrieb, also unter unserer Verantwortung. Zu dieser Verantwortung bekennen wir uns“, hieß es in der Stellungnahme. 13,9 Millionen Euro an Entschädigungen wurden schließlich gezahlt, spätere Wiederaufnahmeversuche des Verfahrens scheiterten.

Mehr als 250 Personen waren an der Bergung der zum großen Teil jugendlichen Opfer beteiligt – sie gelangten dabei oft an ihre Grenzen. Franz Lang, der spätere Generaldirektor für öffentliche Sicherheit, wurde als Leiter der Ermittlungen in Kaprun erstmals einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Er erinnerte sich in einem ORF-Interview später an den Einsatz im Tunnel: „Es war eine große, schwarze Masse. Wir haben vier bis fünf Tage gebraucht, um zu wissen, dass es 155 Opfer sind.“

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