Sorge nach Zuckerfabrik-Schließung: "Es tut einfach weh"

Sorge nach Zuckerfabrik-Schließung: "Es tut einfach weh"
Landwirtinnen und Landwirte bangen nach dem Aus der Zuckerfabrik in Leopoldsdorf nun um die Produktion.

Es ist ein langer Kampf, der hinter den Rübenbauern liegt. Und es ist leider einer, den sie verloren haben. Vergangene Woche wurde bekannt, dass der Zuckerkonzern Agrana seine Fabrik in Leopoldsdorf im Marchfelde (NÖ) schließt. 120 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind betroffen – und in weiterer Folge auch all jene Landwirte, die seit Jahren ihre Rüben zu der Produktionsstätte liefern.

„Es tut einfach weh“, sagt Franz Weingartshofer, dessen Familie seit Generationen Rüben in Großkrut (Bezirk Mistelbach) anbaut. Schon vor fünf Jahren stand die Fabrik im Marchfeld, in der der berühmte Wiener Zucker hergestellt wurde, vor dem Aus; damals setzten die Interessensvertretungen, Agrana und die Politik alles daran, den Standort durch entsprechend große Rübenanbauflächen zu erhalten. 38.000 Hektar waren nötig, „und wir sind um jeden davon gelaufen“, sagt Weingartshofer, selbst Funktionär bei der Vereinigung „Die Rübenbauern“.

Gründung
Die Zuckerfabrik in Leopoldsdorf (Bezirk Gänserndorf) wurde im Jahre 1901 eröffnet. Vor fünf Jahren stand der Erhalt des Standorts bereits an der Kippe.

Schließung
120 Mitarbeiter sind von dem Aus der Produktionsstätte im Marchfeld betroffen.

75,4 Prozent
des österreichischen Rübenanbaus ist in Niederösterreich verankert. 17,8 Prozent werden in Oberösterreich produziert, es folgen das Burgenland mit 6,2 Prozent und die Steiermark mit 0,7 Prozent.

Unter Druck

Doch leichter wurde das Leben für die Rübenbauern in den letzten fünf Jahren wahrlich nicht – weder im Hinblick auf die Wirtschaft, noch auf die Einflüsse durch die Umwelt. Der Rübenrüsselkäfer vernichtete bis zu 25 Prozent der geplanten Ernten, eine Bekämpfung durch Neonicotinoide, also Insektizide, wurde Anfang 2023 durch den Europäischen Gerichtshof untersagt.

Hinzu kamen die Entwicklungen am Markt; 2017 wurden die europäischen Zuckerproduktionsquoten abgeschafft, Österreichs Rübenbauern mussten daher mit weitaus größeren Produktionsländern konkurrieren. Als Folge des russischen Angriffskrieges erlaubte die Europäische Union zudem zollfreie Zuckerlieferungen aus der Ukraine, die von den Interessensvertretern scharf kritisiert werden. Weitere Entwicklungen, wie der Rückgang des Zuckerverbrauchs in der EU oder die immer höheren Kosten für die Produktion, erhöhen den Druck zusätzlich.

„Die Schließung der Fabrik muss ein Warnsignal sein, und zwar für alle Kulturen.“

von Lorenz Mayr

Landwirtschaftskammer-Vizepräsident NÖ

All diese Faktoren haben die Weiterführung des Standortes Leopoldsdorf „wirtschaftlich untragbar gemacht“, so die Erklärung der Agrana. Lediglich für die Logistik und die Lagerung von Zucker soll das Areal weiterverwendet werden. Die gesamte heimische Zuckerproduktion soll damit künftig am Standort Tulln sichergestellt werden.

Eine Konzentration, die den Landwirten Sorge bereitet. „Wir fordern, dass Tulln ausgebaut wird, um die heimische Produktion zu sichern. Und zwar nicht am Rücken der Landwirte“, betont Lorenz Mayr, Vizepräsident der Landwirtschaftskammer NÖ, der selbst Rüben in Steinabrunn (Bezirk Korneuburg) anbaut. So könnten beispielsweise zu lange Lagerzeiten dazu führen, dass die Rüben an Qualität verlieren bzw. verderben.

Die Gründungsversammlung der Genossenschaft der niederösterreichischen Rübenbauern fand im Jahr 1905 in Lassee (Bezirk Gänserndorf) statt. Die Landwirte wollten sich durch den Zusammenschluss aus der Abhängigkeit von der Zuckerindustrie befreien. Es brauchte viele Jahre, bis man auch Fabriksbesitzer von den Vorteilen des genossenschaftlichen Zusammenschlusses überzeugen konnte.

Lange war der Rübenbau fast nur den Gutsbetrieben vorbehalten, erst mit der Zeit fand er auch Verbreitung in bäuerlichen Betrieben. Der Erste Weltkrieg sorgte für einen ersten massiven Absturz in der Branche. Erst ab 1934 war  erstmalig die Selbstversorgung Österreichs mit Zucker wieder hergestellt.

Im Jahr 1945, nach dem Zweiten Weltkrieg, lag die Zuckerwirtschaft am Boden. Nur die Fabrik in Enns war nicht beschädigt worden, wo knapp 50.000 Tonnen Rüben in einer dreiwöchigen Kampagne zu 6.700 Tonnen Weißzucker verarbeitet werden konnten. Es dauerte mehrere Jahre, bis sich die Wirtschaft ein wenig erholte.

Im Jahr 1953 war die  Selbstversorgung Österreichs mit heimischem Zucker greifbar nahe, damals wurde der  Zuckerzoll als Außenhandelsschutz wieder eingeführt. Von Krisen war die Branche aber  immer wieder gezeichnet. Etwa  1975, als 300 Landwirte  wegen der österreichischen Preispolitik mit ihren Traktoren die Zuckerauslieferung im Werk Leopoldsdorf blockierten. Wenig später wurde der Preis für den Rohstoff  – wie auch zuvor schon in anderen Ländern Europas – um elf Prozent angehoben.

Zusätzlich zu den herausfordernden Rahmenbedingungen in der Zuckerrübenproduktion kam es in den Jahren  2018, 2019 und 2020 zu einer Rüsselkäferplage, wodurch jedes Jahr 25  Prozent der Zuckerrübenfläche endgültig vernichtet wurde.
www.ruebenbauern.at

Enttäuschung

Fakt ist: Statt wie bisher 450.000 Tonnen Zucker sollen künftig nur noch 320.000 Tonnen hergestellt werden. Die Agrana stellt sich zudem auf eine längere Verarbeitungssaison ein.

„Abhängig von der tatsächlichen Erntemenge im Herbst, rechnen wir mit nur einer Fabrik heuer mit einer längeren Kampagne von zumindest 150 Tagen. Das erfordert jedenfalls eine sorgfältige logistische Planung“, erklärt Markus Simak, Sprecher des Zuckerkonzerns. Ziel sei es, die Produktion auf die Anforderungen des heimischen Marktes auszurichten und „langfristig den Standort in Österreich zu sichern“.

Trotz aller Zusicherungen: Die Stimmung der Landwirte ist am Boden. Seit Jahren mache man auf die Marktentwicklungen aufmerksam, „aber wir wurden nicht ernst genommen“, schüttelt Weingartshofer den Kopf. Für Mayr wurde mit der Schließung der Fabrik in Leopoldsdorf eine Chance vertan – vor allem im Hinblick auf Exportmöglichkeiten. Er hofft, dass daraus Lehren gezogen werden, auch für andere Kulturen. „Wir haben die höchsten Auflagen und steigende Kosten, während der Markt von billigen Produkten ohne Standards überschwemmt wird. Das geht einfach nicht zusammen“, sieht Mayr hier die Politik in der Verantwortung.

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