Wo Österreich das fliegen lernte: Fliegende Kisten, tollkühne Medien

Wo Österreich das fliegen lernte: Fliegende Kisten, tollkühne Medien
Das Flugfeld Wiener Neustadt war nicht nur Ort für technische Pionierleistungen. Die Flug-Events zogen auch Medien und Massen an.

Es waren nur drei intensive Jahre, in denen das Flugfeld Wiener Neustadt der zivilen Luftfahrt zur Verfügung stand. Der erste Motorflug, den der Pilot Karl Illner am 25. Juli 1909 auf dem Feld durchführte, war noch eher als „Hupfer“ zu bezeichnen – doch bei der ersten „Flugwoche“ im Jahr 1911 stellte der Pilot Heinrich Bier schon einen Weltrekord mit 1.500 Metern Flughöhe auf.

Der Fortschritt spiegelte sich nicht nur in einem Bauboom wider, in dessen Verlauf am Areal mehr als 30 Hangarbauten, dazu Tribünen und Pavillons errichtet wurden. Er wurde auch von einer Medienexplosion begleitet: „Wir gehen davon aus, dass in dieser kurzen Zeitspanne eine halbe Million Postkarten aufgelegt wurden“, sagt Markus Zelezny.

Der gelernte Flugzeugbauer und passionierte Luftfahrt-Historiker hat die Geschichte des Flugfeldes im Spiegel dieser Bildmedien in einem Buch akribisch aufgearbeitet. Gemeinsam mit der Fotohistorikerin Magdalena Vuković entstand dazu nun auch eine Ausstellung im Photoinstitut Bonartes in Wien.

Wie durch ein Mikroskop bietet sich dabei ein Bild, das weit über den Spezialistenbereich der Luftfahrtgeschichte hinaus fasziniert: Zeigt sich doch, wie die technische Pionierstimmung in eine florierende moderne Event-Kultur eingebettet war.

Wo Österreich das fliegen lernte: Fliegende Kisten, tollkühne Medien

Innerhalb kürzester Zeit entstand eine Souvenir- und Merchandising-Industrie, in der neben Postkarten auch bedruckte Häferln oder Anstecknadeln verkauft und VIP-Bereiche für besonders betuchte Zuschauer geschaffen wurden. Für besonders hohen Besuch wurde ein Pavillon mit „Kaiserloge“ geschaffen.

Und der Kaiser kam

Und am 18. September 1910 kam Kaiser Franz Joseph I. tatsächlich, um das Flugfeld zu besuchen: Es war im Übrigen auch die erste Überlandfahrt, die der Monarch mit dem Auto unternahm. 40.000 Personen wohnten dem Ereignis bei – vergleichbar mit einem Rockfestival. Jeder Schritt des Kaisers wurde dokumentiert und als Postkarte verwertet, auch eine Filmaufnahme ist in der Schau zu sehen.

Wo Österreich das fliegen lernte: Fliegende Kisten, tollkühne Medien

Die verkehrstechnisch günstige Lage entlang der Südbahn, erklärt Zelezny, war jedenfalls ein Grund für die Bestimmung des Areals für den Flugverkehr – die Ansammlung an militärisch-technischen Werkstätten eine andere.

Mit fragilen Flugzeugen und Motorleistungen um die 50 PS war die frühe Fliegerei eine wacklige Angelegenheit – die erstmals 1910 gestartete „Etrich-Taube“, die ohne ständiges Gegenlenken ihre Flugbahn stabil hielt, eröffnete neue Möglichkeiten.

Fotografie verleiht Flügel

Fotografen, aber auch Postkarten- und Zeitungsverleger mussten erst Mittel und Wege finden, die Innovationsleistung zu vermitteln, erklärt Fotohistorikerin Vuković.

Eine Aufnahme aus der Entfernung machte zwar den Höhenunterschied zwischen einem Fleck oben (dem Flugzeug) und dem dunklen Balken unten (dem Horizont) deutlich, blieb aber sonst eher unaufregend. So wurde etwa ein bewegter Wolkenhimmel nachträglich eingefügt.

Teilweise montierte man die Flugzeuge – die mit langen Belichtungszeiten in der Luft mitunter nicht klar zu erfassen waren – nachträglich in die Landschaft ein, auch Kolorierungen ermöglichten es, von einem Motiv unterschiedliche Varianten anzufertigen.

Ein Paarlauf

Wie bei heutigen Social-Media-Postings beschrieben Besucherinnen und Besucher ihre Eindrücke vom Flugfeld ganz direkt auf den Karten: „Wir sind schon ganz müd vor lauter Schauen“, heißt es etwa auf einem Exemplar, die Zelezny und Vuković aus dem Fundus holten.

Doch auch Printmedien versuchten, die technischen Meisterleistungen auf innovative Weise zu vermitteln: Flug- und Medienentwicklung legten einen veritablen Paarlauf hin.

1912 verlagerte sich die zivile Luftfahrt dann nach Wien aufs Flugfeld Aspern – eine Geschichte, die Zelezny als Nächstes aufarbeiten will. Das Feld Wiener Neustadt wurde weiter militärisch genutzt – bis heute.

Anmerkung: In der Erstversion dieses Artikels wurde das Jahr des Besuchs Kaiser Franz Josephs I. irrtümlich mit 1890 angegeben. Tatsächlich fand der Besuch 1910 statt.

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