Wiener ÖVP-Spitze: "Wien kam besser durch die Krise als der Rest Österreichs"

Wiener ÖVP-Spitze: "Wien kam besser durch die Krise als der Rest Österreichs"
Türkis-schwarze Versöhnung: Der Wiener ÖVP-Chef Karl Mahrer und Wirtschaftskammer-Präsident Walter Ruck über ihre Zusammenarbeit, die Stärken und Schwächen der Wiener Corona-Politik und den Ukraine-Krieg.

Beziehungsstatus: Es ist kompliziert. Das galt lange Zeit für das Verhältnis zwischen der Wiener ÖVP und dem Wiener Wirtschaftskammerpräsidenten Walter Ruck. Die Geschichte dahinter ist – wie es sich für Beziehungen nun mal gehört – voller Emotionen.

Als die ÖVP unter Gernot Blümel noch auf radikalem Oppositionskurs gegen die regierende SPÖ lag, kam es mitten im Wien-Wahlkampf 2020 zum Bruch mit Walter Ruck. Dieser gilt als Vertrauter des roten Bürgermeisters Michael Ludwig – und stellte sich relativ unverhohlen gegen seinen Parteikollegen Blümel, zu dem er schon vorher nicht das beste Verhältnis hatte.

Manche in der Partei nahmen Ruck, der in seiner Rolle als Wirtschaftsbund-Chef immerhin im Parteipräsidium sitzt, das spürbar (und nachhaltig) übel. Das Match: Türkis gegen Schwarz.

Seit dem Abgang Blümels und der Übernahme der Wiener ÖVP durch Karl Mahrer ist vieles anders. Und so traf man sich – wenige Wochen vor dem ÖVP-Landesparteitag im Mai – zum gemeinsamen Gespräch.

KURIER: Herr Präsident, das ist eine Premiere. Normalerweise gibt es von Ihnen keine gemeinsamen Interviews mit ÖVP-Chefs. Was macht Karl Mahrer richtig, was Gernot Blümel nicht geschafft hat?

Walter Ruck: Da muss ich Sie korrigieren. Ich habe auch mit Manfred Juraczka gemeinsame Interviews gegeben, als er damals ÖVP-Chef war.

Sie haben also nur Gernot Blümel ausgelassen?

Ruck: Auch mit Gernot Blümel gab es einmal einen gemeinsamen Auftritt. Aber Sie haben Recht, Interviews haben wir keine gegeben. Viel wichtiger ist jetzt, dass ich Karl Mahrer seit einer gefühlten Ewigkeit kenne und wir gemeinsam vieles erfolgreich umgesetzt haben. Ich darf sagen, dass ich eine tief empfundene Freundschaft verspüre.

Herr Parteiobmann, oft heißt es: Es ist eigentlich egal, ob Michael Ludwig mit den Grünen oder mit den Neos koaliert – am Ende heißt sein Partner ohnehin Walter Ruck. Stört Sie das?

Karl Mahrer: Gar nicht. Er macht seine Arbeit als Interessenvertreter ganz ausgezeichnet. Die Wiener Wirtschaft erwartet sich von Walter Ruck, dass er offene Gesprächskanäle zu den Regierenden hat. Er hat eine andere Rolle als ich in der Opposition.

Sie wollen sich am 20. Mai zum Landesparteichef wählen lassen und die Partei neu ausrichten. Haben Sie sich in Ihrer Wirtschaftspolitik mit Walter Ruck abgestimmt?

Mahrer: Wir sind seit Jahren immer abgestimmt. In unseren Positionen haben wir Schnittmengen – und manchmal gibt es Unterschiede.

Wo gibt es Unterschiede?

Ruck: (lacht) Das sagen wir nicht. Wir wollen lieber über die Gemeinsamkeiten reden.

Mahrer: Eine ist, dass wir jenen Betrieben, die besonders von der Krise betroffen sind, rasch helfen wollen. Es ist kein Geheimnis, dass ich die Gesundheitspolitik des Bürgermeisters nicht verstehe. Er bestand auf Restriktionen, die es in anderen Städten nicht gibt. Ich respektiere die Entscheidung, sage aber: Dann muss es zugleich bessere Wirtschaftshilfen für Betroffene geben.

Woran denken Sie konkret?

Mahrer: Ich bin in Gesprächen mit Wirtschaftsstadtrat Peter Hanke, dem will ich nicht vorgreifen. Klar ist, dass viele Betriebe im Wiener Städtetourismus vor dem Ruin stehen, während die Branche in anderen Städten wieder floriert.

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Karl Mahrer hat die Wiener ÖVP von Gernot Blümel übernommen. Im Mai wird er von den Mitgliedern offiziell zum Parteichef gewählt.

Man hatte stets den Eindruck, dass alle Maßnahmen der Stadt gut mit Ihnen abgestimmt waren, Herr Ruck. Teilen Sie die Meinung, dass der vorsichtige Corona-Kurs nicht mehr zeitgemäß ist?

Ruck: Die Entscheidungen hat zweifelsfrei der Bürgermeister getroffen, nicht ich. Nicht alles war in meinem Sinne. Aber insgesamt ist Wien – etwa mit Blick auf das Bruttoregionalprodukt – deutlich besser durch die Krise gekommen als der Rest Österreichs. Ich kann diesen Zahlen also nicht entnehmen, dass wir in den vergangenen Jahren eine fehlgeleitete Wirtschaftspolitik der Stadt erlebt hätten.

Mahrer: Das stimmt. Der Blick ins Ausland zeigt, dass Österreich den Weg gut gemeistert hat. Und ja, auch Wien hat ihn insgesamt gut gemeistert.

Auf der einen Seite steht Walter Ruck, der findet, dass es in Wien keine fehlgeleitete Wirtschaftspolitik gibt. Auf der anderen Seite sagt Ihre ÖVP-Generalsekretärin Laura Sachslehner, Wien sei „das Armenhaus Österreichs“. Wem glauben Sie, Herr Mahrer?

Mahrer: Laura Sachslehner hat auf die Mindestsicherungsbezieher angespielt, von denen 60 Prozent in Wien leben. Das Thema Leistung, das mir sehr wichtig ist, wird in Wien nicht so gelebt, wie ich mir das vorstelle. Es gibt Menschen, die lieber in der sozialen Hängematte liegen. Sozialleistungen sind wichtig – aber nur für jene gedacht, die sie benötigen.

Machen es sich in Wien zu viele Menschen in der Hängematte bequem, Herr Ruck?

Ruck: Unsere unterschiedlichen Rollen bedingen unterschiedliche Sprache. Zudem darf man nicht vergessen, dass Wien der einzig urbane Raum in Österreich ist. Das hat Magnetwirkung auf Menschen, die zuziehen. Das wird Karl Mahrer bestätigen. Aber ich teile seine Meinung, dass wir uns mit dem Erreichten nicht zufriedengeben sollten.

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Wiens Wirtschaftskammer-Chef Walter Ruck gilt als Vertrauter des roten Bürgermeisters Michael Ludwig - und als Machtfaktor in der ÖVP.

Zu den Lockerungen bei den Corona-Maßnahmen: Tourismusministerin Elisabeth Köstinger wünscht sich einen „normalen Sommer“.

Ruck: Über die Lockerungen sollen Experten entscheiden. Ergänzend zur Ministerin sage ich: Ich wünsche mir einen normalen Herbst.

Mahrer: Mit Blick auf das Impfen und das Testen ist dieser Blick in den Herbst wichtig. Die Maskenpflicht sollte der aktuellen epidemiologischen Situation angepasst sein.

Die Wirtschaftskammer hat „Alles gurgelt“ gemeinsam mit der Stadt konzipiert und sich über die Begrenzung der PCR-Tests wenig erfreut gezeigt. Halten Sie die Begrenzung für richtig?

Mahrer: Die Wiener Testinfrastruktur ist österreichweit ein Vorbild. Klar ist, dass man das nicht einstellen und irgendwann im Herbst plötzlich wieder hochfahren kann. Aber wir müssen auf die Kosten schauen. Und ich erwarte mir, dass die Stadt transparent macht, wie die Auftragsvergabe bei „Alles gurgelt“ zustande kam.

Walter Ruck sitzt neben Ihnen. Sie können ihn fragen.

Ruck: Wir waren für die Logistik zuständig, nicht für Auftragsvergaben. Ich will aber zur Frage der Deckelung etwas sagen: Ich verstehe, dass man die Testangebote an das Pandemiegeschehen anpasst. Was in meinem Kopf nicht zusammengeht, ist, dass man bei der Limitierung auf die Anzahl der Tests abstellt – und nicht auf die Kosten. Unsere Tests sind deutlich billiger als jene andernorts in Österreich. Warum also sollen die Wiener nicht mehr Tests erhalten, wenn Sie dabei nicht mehr Kosten erzeugen? Weder Gesundheits- noch Finanzminister konnten mir das so erklären, dass ich es verstehe.

Können Sie, Herr Mahrer?

Mahrer: Ich habe diese Entscheidung ja nicht getroffen. Aber Walter Ruck hat recht: Im Zentrum stehen die Kosten.

Die ÖVP kritisiert eine Wiener Corona-Maßnahme besonders heftig: die „Stolz auf Wien“-GmbH. Die Kammer hat das Projekt mit 5 Millionen Euro mitfinanziert.

Ruck: Und ich würde das Geld wieder investieren. „Stolz auf Wien“ ist ein Erfolgsprojekt. Wir konnten Betrieben helfen, die vor Corona gesund waren, aber dadurch in Schieflage kamen. Natürlich kann man kritisieren, dass es weniger Unternehmen waren als prognostiziert. Aber Prognosen haben in dieser Krise selten zugetroffen.

Mahrer: Das sehe ich anders. „Stolz auf Wien“ ist keine Erfolgsgeschichte. Aber ich anerkenne das Bemühen. Wir sollten aus den Fehlern lernen.

Herr Ruck, lassen sich die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs auf den Wirtschaftsstandort Wien beziffern?

Ruck: Wenn jetzt beispielsweise Gäste ausbleiben, leiden nicht nur Tourismus und Handel. Aber: Wien hat durch die Ostöffnung sehr profitiert und hatte immer ein gutes Verhältnis zu Russland wie auch zu seinen Anrainerstaaten. Ebenso wichtig ist die Rolle Wiens als Headquarter für internationale Unternehmen. Wenn wir in dem Konflikt unsere Neutralität aufgeben, sehe ich die Gefahr, dass wir die Headquarter-Funktion nicht mehr so gut ausüben können.

Stadtrat Peter Hanke hat die Ausweisung russischer Diplomaten kritisiert.

Ruck: Dazu kann ich nichts sagen. Aber es ist und war gute österreichische Tradition, Konfliktparteien einen Verhandlungstisch bereitzustellen. Diese Rolle hat uns wirtschaftlich immer gutgetan. Das bedeutet ja nicht, dass man Konflikten teilnahmslos gegenübersteht und Aggression nicht als solche benennt. Mir hat es wehgetan, dass erste Verhandlungen zwischen Ukraine und Russland im Nato-Land Türkei stattfanden und nicht bei uns.

Mahrer: Ich schätze daher die Bemühungen von Bundeskanzler Karl Nehammer, mit beiden Seiten zu sprechen. Der krampfhafte Versuch der Opposition, das schlechtzureden, ist entbehrlich.

Zurück nach Wien: Sie haben ein Gegenkonzept zum Parkpickerl angekündigt, Herr Mahrer. Ist es schon fertig?

Mahrer: Nein. Ich halte nichts von Schnellschüssen. Dass wir überhaupt in dieser Situation sind, liegt an der Haltung von Verkehrsstadträtin Ulli Sima. Statt sich mit uns zusammenzusetzen, hat sie ein Modell aus den 90er-Jahren mit all seinen Schwachstellen genommen und über Wien drübergestülpt. Die Stadt will kassieren.

Ruck: Wir brauchen ein gesamtheitliches Mobilitätskonzept. Ein Pickerl aufs Auto zu kleben, ist zu wenig. Verkehrsleitung erreiche ich nur, wenn ich stärker belastete Zonen höher bepreise. Zudem geht es um attraktive Oberflächengestaltung in der Stadt.

Angesichts der Absage des Lobautunnels durch die grüne Umweltministerin teilen Sie den Ärger der Stadt, die eine Klage angekündigt hat. Wann kommt die Klage?

Ruck: Ich bin nicht klagslegitimiert. Wenn ich könnte, hätte ich es längst getan.

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