Wenn es dunkel wird: Das Verschwinden des Herbert Gall

Wenn es dunkel wird: Das Verschwinden des Herbert Gall
An einem schwülen Sommertag im August 2021 verschwindet der damals 69-jährige Herbert Gall aus einem Seniorenzentrum in Treffen am Ossiachersee. Niemand weiß, was mit ihm passiert ist.

In Kärnten kann es im Sommer richtig heiß werden. Vor allem dann, wenn die Sonne unerbittlich auf die Landschaft zwischen Bergen und Seen herunterknallt. Am 20. August 2021 tut sie das ausnahmsweise nicht. Der Himmel über Treffen ist bewölkt und eine drückende Schwüle liegt in der Luft. Der Ort mit seinen knapp mehr als 4.000 Einwohnern befindet sich am Fuße der Gerlitzen, am Ufer des Ossiachersees in Kärnten.

Dort, auf einer kleinen Anhöhe, befindet sich auch das Seniorenzentrum Julienhöhe, wo man den Bewohnern an diesem 20. August pünktlich um 13.00 Uhr das Mittagessen serviert. Der 69-jährige Herbert Gall sitzt an seinem Tisch, isst, und benimmt sich wie immer. Noch weiß niemand, dass es das letzte Mal sein wird, dass er seinen Platz beim Mittagessen einnehmen wird.

Wenn es dunkel wird: Das Verschwinden des Herbert Gall

Zwei Stunden später gibt es Kaffee und Kuchen – auch das ein tägliches Ritual im Seniorenzentrum Julienhöhe. Doch diesmal kommt Herbert Gall nicht. Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen beginnen, nach ihm zu suchen. „Wir haben das ganze Haus umgedreht“, sagt Martina Hohenberger, die fachliche Pflegeleiterin des Seniorenzentrums. Doch es hilft nichts: Herbert Gall ist nicht zu finden.

Als sich der Nachmittag zu Ende neigt und es dunkel wird, sind alle da: die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Pflegeheims, der Heimleiter, Herrn Galls Ehefrau und die Polizei: „Circa 50 Personen haben dann begonnen, nach Herrn Gall zu suchen“, schildert Dietmar Warum, der zuständige Gruppeninspektor. „Um zirka Mitternacht haben wir dann die Suche abgebrochen und sie am nächsten Tag wieder fortgesetzt.“

Dunkle Spuren - Fall Herbert Gall: Polizist

Die schwierige Frage aber lautet: Wie groß ist der Suchradius? Wie weit kann Herbert Gall gekommen sein? Im Seniorenzentrum beschreibt man ihn als eingermaßen mobil, wenn auch pflegebedürftig. Und: „Wir haben gelernt, dass ältere Menschen oft längere Strecken zurücklegen können, als man denkt, wenn sie das wirklich wollen“, sagt Martina Hohenberger.

Andererseits ist Herbert Gall ja nicht ohne Grund in dem Pflegeheim mit sogenanntem „gerontopsychiatrischen Schwerpunkt“ untergebracht. Vor vielen Jahren, als er mit seiner Frau Elke noch in Deutschland lebt, arbeitet er in einem VW–Werk. 2012 kommt es dort zu einem schweren Arbeitsunfall mit einem Gabelstapler. Gall zieht sich dabei schwere Schädel-Hirn-Verletzungen zu und leidet seither unter dem Hirnorganisches Psychosyndrom, kurz HOPS, in dessen Folge es bei Erkrankten zu psychosoziale Störungen kommt.

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Weil Elke Gall sich ohne die Mithilfe ihres rekonvaleszenten Mannes nicht mehr um das große Haus und den Garten kümmern kann, zieht das Ehepaar wenig später aus einem Ort in der Nähe von Kassel nach Österreich – zuerst ins steirische Lachtal und dann in eine kleinere Wohnung in Bad Kleinkirchheim in Kärnten. Als er immer pflegebedürftiger wurde, entscheidet das Ehepaar gemeinsam, dass Herbert Gall in das Heim in Treffen ziehen soll. Dort gefällt es ihm gut, er ist zufrieden, vor allem mit seinem Zimmerkollegen freundet der Pensionist sich an.

Am 18. August, zwei Tage vor seinem Verschwinden, ruft Herbert Gall seine Frau an und erzählt ihr von einem mysteriösen Anruf. Zwei Polizisten, ein Mann und eine Frau, hätten ihn kontaktiert. Was die gewollt hätten? Das werde er seiner Frau erzählen, wenn sie einander am nächsten Tag sehen, sagt er. Tags darauf erwähnt er den Anruf aber nicht mehr und auch Frau Gall erkundigt sich nicht danach.

Wartend am Parkdeck

Was hat es mit diesem mysteriösen Anruf auf sich, von dem Elke Gall erzählt? Haben eventuell falsche Polizisten Herrn Gall angerufen und mit einem Trick dazu gebracht, das Seniorenheim zu verlassen?

„Ich halte das nicht für ausgeschlossen, weil es in der Region immer wieder Probleme mit falschen Polizisten gibt“, sagt Christian Mader, Obmann des Vereins „Österreich findet euch“, über den die Zivilgesellschaft bei der Suche nach Abgängigen hilft. Auch die Aussage eines Zeugen, der Herrn Gall am Tag seines Verschwindens noch auf dem Parkdeck des Seniorenzentrums gesehen hat, könnte dazu passen. Gall habe ausgesehen, als würde er auf etwas oder jemanden warten, beschreibt der Mann die Situationen.

Da gibt es nur ein großes Problem: Das Handy von Herbert Gall, das er sonst immer bei sich trägt, lässt er am Tag seines Verschwindens auf seinem Zimmer zurück. Die Polizei wertet es aus – doch Hinweise auf einen Anruf, wie von Herbert Gall seiner Frau gegenüber beschrieben, findet sie nicht.

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Was also ist passiert? „Wir gehen am ehesten von einem Unfall aus“, sagt Inspektor Warum. Der ältere Herr könnte nach dem Essen zu einem Spaziergang aufgebrochen und irgendwo im Gelände gestolpert sein, sagt er. Dass man bisher noch keine Leiche gefunden hat, müsse nicht unbedingt heißen, dass es keine gibt. Auch der Ossiachersee könne als Gefahrenquelle nicht ausgeschlossen werden. Die Beamten haben das Ufer abgesucht, eine Spur gefunden haben sie nicht.

Einzig ein Suchhund hat kurz nach dem Verschwinden von Herrn Gall angeschlagen – am nahe gelegenen Bahnhof Annenheim. Doch die Videoauswertung des nächsten Knotenpunktes – des Bahnhofs in Villach – hat nichts ergeben. Laut Aussage seiner Frau hätte Herbert Gall auch gar nicht über genug Bargeld oder eine Bankomatkarte verfügt, um sich ein Zugticket kaufen zu können.

Neue Suchaktion

Für Inspektor Warum ist der Fall Gall noch nicht abgeschlossen, schon bald werde es eine weitere Suchaktion geben, sagt er. Und auch im Seniorenzentrum hat man nicht einfach weitergemacht: „Jedes Mal, wenn ich herauffahre, denke ich daran“, sagt Heimleiter Daniel Nedved. Für Bewohner wie Mitarbeiter sei das Verschwinden von Herrn Gall ein schwerer Verlust gewesen. „Sein Zimmerkollege sagt, er hat seinen besten Freund verloren“, erzählt Nedved.

Und auch für Elke Gall ist die Situation schwierig. Die Krankenversicherung für ihren Mann muss sie weiterzahlen, weil er nicht als tot gilt, die deutsche Rentenversicherung umgekehrt hat ihre Zahlungen eingestellt. Ob sie das Gefühl hat, dass ihr Mann noch lebt? „Ich möchte es gerne“, sagt Elke Gall.

Hinweise zum Verschwinden von Herbert Gall bitte an 059133200

Hier geht es zum Podcast rund um das Verschwinden von Herbert Gall

 

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