Wenn die PC-Maus zur Waffe wird

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Arthur A. lebte in der virtuellen Welt der Gewaltspiele. Wie gefährlich sind sie wirklich? Die Antwort ist nicht einfach.

In der virtuellen Welt fühlte er sich zu Hause – bis er die Gewalt in die Realität holte: Der Attentäter von Graz war tief in die Welt der Ego-Shooter-Spiele eingetaucht. Sogar bei seinem Attentat in der Schule adjustiert er sich mit einem Headset, als spiele er „nur“ ein Spiel.

Das befeuert die alte Debatte über sogenannte Ego-Shooter – Spiele, bei denen die Spieler auf dem PC oder auf Konsolen in realistisch gestalteten 3D-Welten aus der Ich-Perspektive gegen ihre Gegner antreten. Der Attentäter von Graz ist nicht der erste, der Leidenschaft für diese Spiele pflegte.

Die Columbine-Attentäter, die 1999 zum tödlichen „Vorbild“ für viele jugendliche Täter wurden, hatten sich exzessiv mit Gewaltspielen, etwa dem Klassiker Doom, beschäftigt. In einem Aufsatz hatte einer der beiden vor der Tat notiert: „Doom ist in meinen Kopf eingebrannt. […] Was ich im realen Leben nicht tun kann, versuche ich, in Doom zu tun.“ Und der Amokschütze von München etwa, der 2016 neun Menschen tötete, bewegte sich mit der Waffe in der Hand gar wie eine Spielfigur. Die Liste ließe sich fortsetzen.

„Im Rückblick zeigt sich, dass fast alle Täter von School Shootings sich in ausuferndem Maß mit Gewalt auseinandergesetzt haben. Sei es als Konsumenten oder, indem sie selbst virtuelle Gewalt in Shootern ausgeübt haben“, sagt der Psychologe und Digitalexperte John Haas im Gespräch mit dem KURIER.

Erschaffen Ego-Shooter also eine Generation an gewaltbereiten Jugendlichen?

Die Antwort ist nicht so einfach und eindimensional, wie es die öffentliche Debatte gerne hätte. Das Thema ist gut erforscht, eine Vielzahl an Studien kommt zu differenzierten Ergebnissen. So zeigte eine Studie der University of Ohio, dass durch übermäßigen Konsum die Empathiefähigkeit abnehmen und die Gewaltbereitschaft zunehmen könne. Forscher aus Schanghai und Genf wiederum wollen herausgefunden haben, dass sich Shooter (mehr als andere Spiele) positiv auf Wahrnehmungsfähigkeiten und Lernleistung der Probanden auswirken. Gleich mehrere Studien zeigen, dass das Hantieren mit der PC-Maus sich nicht als Schießtraining eigne oder Waffenkenntnisse vermittle.

Tatsache ist, dass Gewaltspiele kein Randgruppenphänomen sind. Eine Studie aus 2024 ergab, dass in Österreich rund 35 bis 40 Prozent aller Teenager regelmäßig Gewaltspiele spielen – bei Männern sind es 60 Prozent, bei den Frauen neun Prozent. Allein die Zahlen zeigen: Niemand, der Gewaltspiele spielt, wird alleine dadurch zu einem Attentäter. Nicht zuletzt, sagt Haas, weil die Jugendlichen „gut zwischen virtueller und realer Welt unterscheiden“.

Dass Gewalt im Spiel erst mit dem PC Einzug hielt, ist generell ein Irrglaube. Das Kokettieren mit dem Bösen wohnt dem Spiel seit jeher inne, es ist eine seiner zentralen Funktionen. Im Spiel darf man im geschützten Rahmen gegen Regeln und Konventionen verstoßen – ohne reale soziale und rechtliche Folgen tragen zu müssen. Bei Räuber und Gendarm ist jeder lieber der Räuber; beim Kartenspiel Werwolf „tötet“ man in geselliger Runde die Mitspieler; bei Risiko werden ganze Länder eingenommen. Haas nennt das mit Blick auf die Shooter die Läuterungshypothese: „Man lebt aus, was tabuisiert ist – und muss es so nicht im Realen tun.“

Also alles unproblematisch? Nein. Spiele können Effekte auf die Gewaltbereitschaft haben, wenn Jugendliche emotional und kognitiv labil sind, sagte Jugendpsychiater Paulus Hochgatterer unlängst im KURIER-Interview. Haas stimmt ein: Wenn psychische Störungen vorliegen (etwa Schizophrenie, Depressionen) oder sich Jugendliche sozial isolieren, kann es gefährlich werden. Treffen derartige Faktoren aufeinander, wirken Gewaltspiele wie Brandbeschleuniger.

Ein Verbot von Shootern ist rechtlich schwer möglich – und gegen die milliardenschwere Spieleindustrie kaum umsetzbar. Und nicht zuletzt: Wer nicht legal spielen darf, der wird es illegal tun. Gefordert sind das soziale Umfeld, Eltern und Lehrer, sagen Experten. Sie müssen digitale Kompetenz vermitteln und einen genauen Blick auf die Spielgewohnheiten der Jugendlichen haben.

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