Weihnachtsrituale: Warum Deko und Filme wichtig für die mentale Gesundheit sind

Eine Hand zündet eine rote Kerze auf einem weihnachtlich geschmückten Adventskranz mit Tannenzweigen und Zapfen an.
Die Weihnachtszeit kann herausfordernd sein, Feiertagsrituale können jedoch Abhilfe schaffen. Ein Psychologe und ein Psychotherapeut erklären ihre Wirkung.

Alle Jahre wieder – je näher Weihnachten rückt, desto exzessiver werden auf diversen Streaming-Diensten Weihnachtsfilme à la Home Alone oder Love Actually beworben. Netflix, Disney und Co. haben sogar eigene umfangreiche Kategorien für das weihnachtliche Genre. Den ultimativen Weihnachts-Höhepunkt liefert allerdings ORF 2 mit der Sissi-Trilogie von Ernst Marischka, die seit 1955 jedes Jahr zu Weihnachten gezeigt wird. Gehört man zur Sorte Menschen, bei denen kitschige Weihnachtsfilme auf dem Programm stehen, sollte man sich laut Experten keinesfalls dafür schämen.

Für manche der Gottesdienst, für andere ein Weihnachtsfilm

"Weihnachten ist für viele Menschen weniger eine religiöse Frage als eine der Vertrautheit. Bestimmte Rituale lösen ein Gefühl von Sicherheit aus, weil sie bekannt sind und sich Jahr für Jahr wiederholen", erklärt Džemal Šibljaković, Psychotherapeut (in Ausbildung) und Sozialarbeiter, gegenüber dem KURIER. Šibljaković arbeitet derzeit in der freien Praxis erzählraum und macht auf seinem Instagram-Account unter anderem auf kulturelle und religiöse Themen aus psychotherapeutischer Sicht aufmerksam. Für manche sei es der Gang in den Weihnachtsgottesdienst, für andere eben das gemeinsame Schauen von Weihnachtsklassikern – psychologisch entscheidend ist dabei weniger, was getan wird, sondern dass es vertraut sei. Diese Rituale würden uns mit früheren Lebensphasen verbinden, oft mit der eigenen Kindheit, und schaffen gleichzeitig Nähe im Hier und Jetzt. "In einer zunehmend fragmentierten Gesellschaft werden diese gemeinsam geteilten Momente rarer", sagt Šibljaković. Doch genau diese gemeinsamen Rituale erzeugen emotionale Nähe. Wenn Menschen zur selben Zeit Ähnliches tun, entsteht Verbundenheit – selbst ohne viele Worte.

Weihnachtstraditionen wirken auf mehreren Ebenen, da sie Zeit strukturieren und Komplexität reduzieren. Den Weihnachtsbaum schmücken oder einen Adventskranz selbst binden – jeder hat quasi ein eigenes Programm für die Vorbereitungen auf das Fest der Liebe. Man muss nicht jedes Jahr neu überlegen, wie man feiert – der Rahmen steht bereits. Das schafft laut Šibljaković Sicherheit.

Vor allem Junge kämpfen mit Einsamkeit

Doch diese Rituale haben noch eine weitere Funktion – eine gemeinschaftsstiftende, sie schaffen Anlässe, um zusammenzukommen. Laut einer aktuellen Auswertung von "Rat auf Draht" fühlen sich immer mehr junge Menschen einsam – von Jänner bis November 2025 gab es rund 200 Gespräche, in denen Einsamkeit das Hauptthema war. Das ist ein Anstieg um 37,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Rund 42 Prozent der Beratungen entfallen auf die Altersgruppe der 16- bis 18-Jährigen, etwa 43 Prozent auf junge Erwachsene zwischen 19 und 24 Jahren. Trotz Schule, Ausbildung und Freunden würden sich viele emotional allein fühlen.

Eine Studie von Caritas und dem SORA-Institut aus dem Jahr 2024 belegt, dass sich mehr als 570.000 Menschen in Österreich "mehr als die Hälfte der Zeit einsam" fühlen. Auch in seiner psychotherapeutischen Praxis erlebt Džemal Šibljaković rund um die Feiertage viele Menschen, für die Einsamkeit in dieser Zeit besonders spürbar wird. Gerade Menschen, die sich isoliert oder entwurzelt fühlen, können von solchen wiederkehrenden Formen profitieren. Kleine weihnachtliche Rituale können laut Šibljaković zwar keine Beziehungen ersetzen, jedoch Brücken zu sich selbst und zu anderen bauen. "Damit erfüllen sie, auch wenn sie ganz schön stressig sein können, fundamentale Grundbedürfnisse des Menschen", sagt Džemal Šibljaković.

Diese Grundbedürfnisse liegen in der Orientierung und Kontrolle – also der Sicherheit der Familie und einem geregelten Ablauf der Feierlichkeiten –, in sozialen Bindungen durch das Zusammenkommen, in der Erhöhung des Selbstwertes durch positive Rückmeldungen von anderen (beispielsweise Geschenke und Aufmerksamkeit) sowie in lustvollen Erlebnissen wie dem gemeinsamen Spaßhaben und Lachen, wie Psychologe Norman Schmid erklärt.

Bedürfnis nach Halt im Kleinen wächst

Ähnlich sieht es auch Džemal Šibljaković: Das Bedürfnis nach Halt im Kleinen wächst, kleine Rituale würden hier wie ein Anker wirken. "Sie strukturieren Zeit, geben dem Jahreslauf Verlässlichkeit und vermitteln ein Gefühl von Kontrolle in einem begrenzten Rahmen", erklärt Šibljaković. Zu Weihnachten gehe es längst nicht mehr um kulturelle "Richtigkeit", sondern um die wiederkehrende, sinnstiftende Erfahrung. "Dieses Prinzip findet sich nicht nur zu Weihnachten, sondern ebenso bei anderen Festen wie Eid oder Chanukka", so der Therapeut.

Auch wenn man sich vieles für die Weihnachtszeit vornimmt, wie Kekse backen, Filmschauen oder auf den Christkindlmarkt gehen, sei es wichtig, eine gute Balance zwischen Aktivität und Erholung einzuplanen. "Das heißt auch, bewusst Tage einzuplanen, die nicht mit Einladungen gefüllt sind, beziehungsweise diese nur mit der Kernfamilie oder alleine zu verbringen. Dann machen die Familientreffen noch mehr Spaß", rät Psychologe Schmid.

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