WEGA-Chef: "Die Polizisten waren chancenlos"
KURIER: Herr Albrecht, wie haben Sie den verhängnisvollen Raubüberfall auf die Billa-Filiale in Wien-Penzing am vergangenen Wochenende erlebt?
Ernst Albrecht: Den Einsatz selbst habe ich nicht geleitet, weil ich nicht im Dienst war. Deswegen bin ich erst zum Tatort gekommen, als der Einsatz schon im Laufen war. Aber als Kommandant muss man seine Verantwortung wahrnehmen, sich ein Bild vom Tatort machen, damit die Dokumentation richtig abläuft.
Wie geht es einem erfahrenen Polizisten wie Ihnen, wenn zwei so junge Kollegen nach einem Einsatz, um ihr Leben kämpfen und einer davon stirbt?
In solchen Fällen durchlebt man mehrere Phasen. Gleich nach dem Schusswechsel funktioniert man einfach. In dieser Zeit ist der Druck extrem hoch. Hier werden alle eintrainierten Abläufe, um sämtliche Nachbearbeitungsvorgänge professionell abzuwickeln, abgerufen. Erst nach zwei Stunden entstehen die ersten Freiräume zum Nachdenken – da kommt dann die unglaubliche Betroffenheit hoch. Bei manchen Kollegen registriert man dann fassungslose Blicke ins Leere. Der erste Schritt zur Aufarbeitung in diesem Stadium ist einfach, die Kollegen reden, reden, reden lassen.
Der Tod des 23-jährigen Polizisten hat für große Betroffenheit in der Bevölkerung gesorgt. Geht der Verlust eines jungen Kollegen dem Polizei-Team näher, als wenn ein altgedienter Polizist sein Leben verliert?
Beide Fälle erschüttern uns. Das Alter macht da keinen Unterschied. Bei jungen Kollegen denkt man vielleicht eher darüber nach, ob sie es im Eifer möglicherweise überzogen haben könnten. Aber in diesem tragischen Fall kann ich nur sagen: Ich, obwohl ich 30 Jahre Erfahrung habe, hätte nach den derzeitigen Informationen nicht anders gehandelt. Die beiden Kollegen waren chancenlos, weil der Täter sofort kaltblütig und aus kurzer Distanz zu schießen begann. Situationen wie diese sind nicht mit mehr Training oder mehr Ausbildung zu lösen. Wir haben kein "Superman-Auge", mit dem wir sehen können, was sich hinter einer geschlossenen Tür abspielt. Leider kann man nur sagen: Was am vergangenen Wochenende passierte, ist ein sehr bitteres Schicksal.
Wie oft sind WEGA-Polizisten mit Schusswechseln konfrontiert?
Wenn ich sage im Schnitt ein Mal pro Jahr, dann ist das schon sehr hoch gegriffen. Wir hatten 2015 keinen Schusswechsel, 2014 und 2013 gab es jeweils einen Einsatz mit Schusswechsel. Bei einem tödlichen Schusswechsel bleibt bei jedem Kollegen, der an dem Einsatz beteiligt war, eine Kerbe zurück. Da ist nichts mehr, wie es vorher im Leben war. Man fühlt sich in der Defensive, weil die internen Untersuchungen beginnen.
Ist die Reaktion des Täters auch für Sie, der schon 30 Jahre bei der Polizei tätig ist, ungewöhnlich kaltblütig?
Absolut. Dass ein Verbrecher sofort, beim Wahrnehmen eines Polizisten, zu schießen beginnt, sind wir in Österreich nicht gewöhnt und passiert äußerst selten. Tendenziell gibt es beim Auftauchen der Polizei eher ein Flucht- und kein Konfrontationsverhalten. Diese Ausnahmefälle enden immer tragisch, weil mit einem Fingerschnippen die Situation in die höchste Eskalationsstufe katapultiert wird. Auch die Wahl der Waffe, das Kaliber und der Schalldämpfer zeigen, dass der Täter sehr professionell war.
Hätte die WEGA schneller eingreifen sollen und den Alarmruf nicht zwei Streifenpolizisten überlassen sollen?
Als der Alarm ausgelöst wurde, wurden die Kollegen zum Supermarkt geschickt, um die Situation abzuklären Das ist ein Routinefall. Sie konnten nicht wissen, dass sie mit einem derart rücksichtslosen Täter konfrontiert sein werden. Die WEGA wurde gerufen, als es den Schusswechsel gab. Wir waren daher im Gegensatz zu den jungen Kollegen vorbereitet. Danach lief alles ab, wie es in den Medien kolportiert wurde. Eine Leistung möchte ich hervorheben: Das Haus wurde abgesichert, die Kollegen wurden geborgen – aber nicht durch uns, sondern von den Streifenpolizisten mit Schutzwesten, die vor uns am Tatort waren. Das war ein sehr mutiges Manöver. Es ist Zeit, für die Streifenpolizisten einmal eine Lanze zu brechen. Sie sind meist die ersten, die der Bevölkerung in gefährlichen Situationen helfen. Im Polizeialltag tragen die Streifenpolizisten das größte Risiko.
Wie schafft man es nach einer Tragödie wie dieser, mit der selben Risikobereitschaft in den nächsten Einsatz zu gehen?
Das ist eine ganz sensible Situation. Natürlich entsteht bei manchen Kollegen durch die Traumatisierung ein sogenanntes Meideverhalten, wo sie ähnlichen Situationen ausweichen wollen. Registriert man so eine Attitüde, muss man mit dem Kollegen sofort das Gespräch suchen. Denn es darf nicht dazu kommen, dass der Betroffene bei Einsätzen in eine Schockstarre und in eine Handlungsunfähigkeit verfällt. Passiert das, bleibt dann für eine gewisse Zeitspanne nur mehr der Innendienst. Damit beginnt oft ein Teufelskreis, weil manche eine Stigmatisierung fürchten. Die Betroffenen fühlen sich sozial isoliert. Betroffene aus dieser Krise zu holen, ist für die Familie und die Kollegenschaft ganz schwer. Was überhaupt nichts bringt, sind Gesten wie Schulterklopfen.
Wie oft waren Sie schon in einen Schusswechsel involviert?
Vier oder fünf Mal, aber nie als Schütze.
Wie haben diese Einsätze Sie verändert?
Man wird abgebrühter – und lernt etwas, das man nur schwer weitergeben kann: Die nötige Erfahrung, um brenzlige Situationen einzuschätzen.
Erster Polizistenmord in Wien seit langer Zeit
Mit dem tragischen Tod des 23-jährigen Polizisten in Penzing ist erstmals seit 1993 wieder ein Wiener Beamter im Dienst gewaltsam getötet worden. Der 49-jährige Täter hatte kaltblütig auf Polizeibeamte geschossen, als diese an der Hintertür der Billa-Filiale klopften. Der Täter hatte zuvor drei Angestellte gefesselt. Der 23-jährige Polizist wurde am Kopf getroffen, er starb. Sein Kollege (25) erlitt einen Bauch- und Hüftschuss. Der Täter verschanzte sich, die WEGA spürte ihn auf. Als der Mann das Feuer eröffnete, wurde er erschossen.
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