Nach Anschlag in Villach: Weshalb schreiben wir "mutmaßlich"?

Kerzen auf einem Gehsteig in der Dunkelheit
Ein getöteter Jugendlicher in Villach, ein verhinderter Anschlag in Wien, in beiden Fällen gab es Festnahmen. Doch Medien schreiben "Verdächtige" - warum?

Es gibt Opfer, die überlebten. Es gibt Zeugen, die beobachteten. Es gibt Videos aus Überwachungskameras, die das Geschehen deutlich zeigen, es gibt eine Festnahme - und es gibt ein Geständnis.

Und doch: Wenn Medien in Österreich über Gewaltverbrechen berichten, dann kommen zwei Worte unwiderruflich in der Berichterstattung vor: Verdächtig und mutmaßlich. Zumindest in jenen Medien, die das Medienrecht beherzigen.

Der KURIER hält sich generell daran, auch im Falle des Anschlags in Villach: Als Samstagnachmittag ein Mann mit einem Messer auf Passanten losging, wurde ein 14-Jähriger getötet und fünf Menschen zum Teil schwer verletzt. 

Die Polizei nahm eine Festnahme vor, es wurden Details über den Festgenommen bis hin zu einem IS-Hintergrund bekannt gegeben, es gab in einer ersten Befragung auch ein Faktengeständnis.

Und doch: Der 23-jährige Syrer wird als "Verdächtiger" und als "mutmaßlicher Täter" tituliert.

Auch Polizisten und Staatsanwälte halten sich daran, die Beiworte "mutmaßlich" und "verdächtig" dürfen nie fehlen in diesem Stadium der Ermittlungen. Weshalb ist das so, während etwa in den USA Sheriffs laut die Namen von Verhafteten in die Mikrofone sagen und Medien wie beiläufig deren Führerscheinfotos veröffentlichen?

Was in Österreich anders ist

Das liegt am österreichischen Medienrecht:  Es legt - vereinfachend dargestellt - fest, dass jemand so lang als "tatverdächtig" beschrieben werden muss, bis ein Urteil in einem Strafprozess vorliegt.

Ein Beispiel: Erschlägt X seinen Nachbarn Y, ist er solange ein *mutmaßlicher Täter" und des "Mordes verdächtig" , bis er in erster Instanz wegen Mordes von einem Schwurgericht verurteilt wurde - ab dem Moment dürfen Medien das Wort  "Mörder" verwenden.

Wird diese Regel gebrochen, hätte X Anspruch auf Entschädigung - er kann also Geld von jener Zeitung verlangen, die ihn nicht bloß als "verdächtig" beschreibt.

Aber Geld ist eher ein Nebenaspekt, weshalb sich Medien - auch gemäß des Ehrenkodex der österreichischen Presse - an die Vorgaben des Medienrechts halten. Freilich gibt es auch Ausnahmen der Regel, aber die sind eng. Dazu müsste X aus obigem Beispiel schon direkt gegenüber einem Redakteur oder einer Redakteurin die Tat eingestanden haben - wohl wissend, dass er mit Journalisten spricht.

Solange das nicht passiert, gilt: "Mutmaßlicher Täter", "Verdächtiger" oder "Mordverdacht" stehen in Text und im Titel, auch wenn das Geschehen dahinter offensichtlich ist. Denn, wie ein Kollege unlängst formulierte, das "Medienrecht gilt auch für Idioten".

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