Vergewaltigungsopfer: "Ich habe überlebt"
Die 25-jährige Jaqueline Mäser aus Dornbirn hat ein Martyrium hinter sich. Vom siebenten Lebensjahr an wurde sie von ihrem Stiefvater sexuell missbraucht. Neun Jahre lang. Erst als sie im Alter von 16 einen Psychiater konsultieren musste, hörten die Übergriffe auf. Kurt N., der Stiefvater, wurde 2013 vom Landesgericht Feldkirch (Aktenzahl: GZ 41 Hv 15/11p-66) zu siebeneinhalb Jahren Haft und zur Zahlung von 20.000 Euro Schmerzengeld verurteilt. Das Oberlandesgericht Innsbruck bestätigte den Schuldspruch am 21. März 2014 (Aktenzahl: 6 Bs 55/14k). Das Urteil liegt dem KURIER vor.
Trotz Verurteilung befindet sich der Täter nach wie vor auf freiem Fuß. Der Mann, der seine Tochter neun Jahre lang aufs Übelste missbraucht hat, sitzt nicht etwa in den Anstalten Stein oder der Karlau hinter Gittern. Auch Fußfessel hat er keine. "Er kann sich frei bewegen", sagt Jaqueline Mäser. "Er kann mir jederzeit über den Weg laufen, denn es gibt nicht einmal ein Annäherungsverbot."
Haftaufschub
Der Grund, warum der verurteilte Kinderschänder nach wie vor seine Freiheit genießt, liegt mehr als zwei Monate zurück. "Herr N. hat am 16. Mai 2014 einen Antrag auf Haftaufschub gestellt", bestätigt Norbert Stütler vom Landesgericht Feldkirch. Dieser müsse nun geprüft werden. "So lange nicht darüber entschieden ist, bleibt er auf freiem Fuß", erklärt der Richter. "Sein Antrag auf ein Gutachten verzögert die ursprüngliche Frist, mit der er zum Haftantritt aufgefordert worden ist."
Derzeit erstellt Gerichtspsychiater Reinhard Haller ein Gutachten über den Gesundheitszustand von Kurt N., der nach eigenen Angaben an einem schweren Nervenleiden (Dystonie) laboriert.
Der Auszug der Kurt N. zur Last gelegten Taten liest sich wie das Drehbuch eines abartigen pornografischen Machwerks. Verurteilt wurde er unter anderem wegen Vergewaltigung, schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen, Unzucht mit Unmündigen, Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses und sittlicher Gefährdung von Personen unter 16 Jahren.
"Herangetastet"
Ohne auf nähere Details einzugehen, schildert Jaqueline Mäser im KURIER- Gespräch den jahrelangen Leidensweg. "Der sexuelle Missbrauch hat im Alter von sieben Jahren begonnen", sagt sie. "Er hat sich langsam herangetastet."
Mit Streicheln und intimen Berührungen habe es begonnen. Der Stiefvater habe gesagt, dass dies zwischen Töchtern und Vätern ganz normal sei. Geschämt habe sie sich damals nicht, sagt die heute 25-Jährige. "Ich bin nicht auf die Idee gekommen, weil es für mich normal war."
Angst um die Familie
Doch es blieb nicht bei den Berührungen. Der Täter steigerte die sexuellen Übergriffen an dem kleinen Mädchen sukzessive bis hin zu Vergewaltigungen in allen Ausformungen – über Jahre hinweg. Ob sie sich gewehrt habe? "Als ich angefangen habe, ihm zu sagen, dass ich es nicht machen möchte, ist mir von ihm gedroht worden, dass er mich ins Kinderheim steckt." Sie hatte Angst, ihre Familie – die Mutter und zwei Halbgeschwister – zu verlieren und schwieg weiter.
Im Teenager-Alter wurde Jaqueline Mäser verhaltensauffällig. Sie kam zum Psychiater, dann in die stationäre Psychiatrie, wo sie nach einem Selbstmordversuch zehn Tage lang im Koma lag. Dann begann ein neues Leben. Sie erzählte vom sexuellen Missbrauch durch Kurt N. – erst dem Arzt, dann der Kripo und schließlich auch vor Gericht.
Rund fünf Jahre dauerte der Instanzenweg, ehe ihr Stiefvater für schuldig befunden wurde. Er lebt nach wie vor bei seiner neuen Lebensgefährtin in Vorarlberg.
Justizskandal
Seine Stieftochter spricht von einem Justizskandal. Sie habe Angst, dass er ihr nochmal begegne oder ihr gar etwas antun könnte. "Über den Weg gelaufen ist er mir zum Glück nicht direkt, wenn ich ihn aus der Ferne sah, habe ich gleich die Richtung geändert." Einige Male sei er mit dem Auto an ihr vorbeigefahren. "Wobei ich nicht verstehe, dass er den Führerschein noch hat, wenn er doch angeblich so krank ist, dass er haftuntauglich sein soll." Mäsers Anwältin, Lieselotte Muccido-Madler: "Es ist furchtbar, wie in Österreich mit zweierlei Maß gemessen wird." Der Täter könne sich frei bewegen. "Bei so einem schlimmen Verbrechen ist das ein Wahnsinn. Den Stiefvater macht man zum armen, kranken Mann und auf den psychischen Zustand des Opfers wird keine Rücksicht genommen."
Keine Wiederholungsgefahr?
Das Gericht sieht, wie Strafrechtsexperte Helmut Fuchs vermutet, offenbar keine Tatbegehungs- oder Wiederholungsgefahr. Möglicherweise, weil die letzte Tat bereits neun Jahre zurückliegt. "Was die Haftunfähigkeit betrifft, muss geklärt werden, ob es möglich ist, eine Person in diesem Zustand in Haft unterzubringen", sagt Fuchs. Für erkrankte, besonders gefährliche Täter gäbe es die Möglichkeit einer Ersatzhaft, "etwa in einer Krankenanstalt".
Kurt N. lebt derzeit wieder mit einer Frau und deren Kindern zusammen. Der Sohn der neuen Lebensgefährtin soll 12, die Tochter 14 Jahre alt sein. Der Halbbruder von Jaqueline Mäser lebt bei ihrer Mutter, die Halbschwester seit geraumer Zeit in einer betreuten Wohngemeinschaft.
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