Ulli Sima zur autofreien City: "Das Zeitfenster schließt sich"
Die SPÖ-Politikerin Ulli Sima ist die längstdienende Stadträtin in Wien – und hat mit den Verkehrs- und Planungsagenden 2020 das einst grüne Ressort geerbt. Ihre Themen zählen zu den am heftigsten diskutierten. Der KURIER hat mit Sima über den ewigen Kampf um den raren Platz in der Stadt, das verunglückte Heumarkt-Projekt und die Verzögerungen beim Naschmarkt-Umbau gesprochen.
KURIER: Seit Sie die Einigung auf die verkehrsberuhigte Innenstadt verkündet haben, ist ein Jahr vergangen. Und nichts ist passiert. Sie betonen stets, es scheitere am Verkehrsministerium. Ist es zutreffend, dass sich die Verkehrsberuhigung in dieser Legislaturperiode gar nicht mehr ausgeht?
Ulli Sima: Ich habe vor allem die Befürchtung, dass es sich in der Legislaturperiode der Bundesregierung mit der notwendigen Novelle nicht mehr ausgeht. Wir in Wien haben vor einem Jahr sehr freudig eine Vier-Parteien-Einigung – alle im Bezirk außer der FPÖ sind dafür – präsentiert, das ist außergewöhnlich. Eine Jahrhundertchance. Mir ist unklar, warum Ministerin Leonore Gewessler, die immer behauptet, sie habe die Verkehrsberuhigung auf Ihrer Agenda, die Chance vergibt. Ich war unlängst bei ihr und verstehe auch nach dem persönlichen Gespräch nicht, warum sie das Projekt nicht ermöglicht.
Also geht sich das Projekt nicht mehr aus?
Die Vorbereitungen waren für alle viel Arbeit und jetzt hätten wir ein kurzes Window of Opportunity, das Konzept umzusetzen. Es ist nicht leicht, vier Parteien an einen Tisch zu bringen, die an einem Strang ziehen. Ich fürchte, dass sich dieses Zeitfenster nun wieder schließt und die Gelegenheit weg ist. Das würde mir sehr leidtun.
So mancher Unternehmer in der City befürchtet, dass eine Verkehrsberuhigung die Kundenfrequenz einbrechen ließe.
Das Gegenteil ist der Fall. Die Innere Stadt ist prädestiniert, weil sie öffentlich mit U-Bahn und Straßenbahnen exzellent angebunden ist. Ich gehe am liebsten zu Fuß hin. Ich kenne auch gar niemanden, der mit dem Auto in die Innere Stadt fahren würde. Auch die Wirtschaftskammer hat mittlerweile erkannt, dass Kunden nicht zwangsläufig mit dem Pkw kommen. Die lokale Wirtschaft profitiert eher von derartigen Maßnahmen. Das sehen wir in anderen Großstädten von London bis Valencia, wo es ähnliche Modelle bereits gibt.
Sie wollten in der City zuletzt mehr Ordnung in den öffentlichen Raum bringen. Was sollte mit frei werdenden Flächen passieren, falls die Verkehrsberuhigung kommt?
Uns ist es mit der Zonierungsverordnung darum gegangen, dem Wildwuchs an Standln in der Fußgängerzone Einhalt zu gebieten. Früher konnte zu jeder Zeit jeder kommen und auf einem Tapezierertisch irgendwas verkaufen. Das wollte niemand. In Zukunft wird es vor allem um Begrünung und Kühlung gehen, wir pflanzen Bäume. Schön gestaltete Plätzen ziehen ein gutes Publikum an.
Bäume sind in den Innenstadtbezirken rar. Wie geht es Ihnen damit, wenn die Wiener Linien im Zuge des U-Bahn-Ausbaus reihenweise Bäume fällen?
Wir sind mit den Wiener Linien in enger Abstimmung.
Sind die Wiener Linien achtsam genug?
Wir versuchen, gemeinsam gute Lösungen zu finden. Ich kämpfe um jeden Baum, weil ich weiß, dass sie ein kostbares Gut sind. Klar ist aber auch, dass eine U-Bahn Platz benötigt. Es ist beengt in der Stadt, da eine ganze neue Linie mit Stationen unterzubringen, ist eine Herausforderung.
Ist der Verteilungskampf um den wenigen Platz im urbanen Raum eines der großen Themen der Zukunft?
Definitiv. Es wird nie genug Platz geben für alle Ansprüche. Wir wollen den vorhandenen Platz fair verteilen. Darum ist es auch mein Anliegen, ein durchgängiges Radnetz in Wien aufzubauen. Das Öffi-Netz in Wien ist schon gut ausgebaut, auch jenes für den motorisierten Verkehr. Das Radwege-Netz hinkt dramatisch hinterher. Da kommt es natürlich zu Diskussionen.
Zuletzt haben Sie, um Ihren Rad-Highway zu bauen, etwa auf der Kagraner Brücke den Grünstreifen eliminiert – statt die Zahl der Pkw-Fahrstreifen zu reduzieren. Das ist doch mutlos.
Wir sind oft mutig gewesen. Wir haben im 22. Bezirk Parkplätze reduziert und in der Praterstraße einen Fahrstreifen weggenommen. Aber man muss ja nicht mutwillig den Verkehrsfluss erschweren. Die Kagraner Brücke ist außerdem ein Sonderfall. Der Grünstreifen war inmitten der Fahrstreifen. Der war als Grünraum nicht erlebbar für die Menschen. Es setzt sich keiner mitten zwischen die Autos und macht ein Picknick. Wir haben im Gegenzug am Wasser eine schöne Fußgängerpromenade geschaffen. Insgesamt haben wir mit den Radwegen mehr Begrünung geschaffen. Überall, wo wir bauen, pflanzen wir zusätzlich Bäume oder schaffen Gräserbeete.
Die flächendeckende Parkpickerl-Regelung gilt seit eineinhalb Jahren. Ein Erfolg?
Ja, die Anzahl der Pkw mit fremden Kennzeichen ist in den Außenbezirken merklich gesunken, der Rückgang lag im zweistelligen Prozentbereich. Da haben wir jetzt natürlich mehr Platz, den wir erneut für Radwege und Begrünung nutzen können.
Sobald in Wien ein Großprojekt ansteht, gibt es Ärger mit Verzögerungen – etwa bei der neuen Eventhalle oder beim Fernbusterminal. Als Planungsstadträtin sollte Sie das irritieren. Wie plant man die Zukunft einer Stadt, wenn Projekte nicht halten?
Die Probleme beim Fernbusterminal schmerzen mich in meiner Rolle als Verkehrsstadträtin, der derzeitige Zustand ist eine Schande. Das Projekt muss dringend in trockene Tücher gebracht werden. Als Planungsstadträtin bin ich aber nur eine Art Servicestelle, indem ich mit
Widmungen die Rahmenbedingungen schaffe, wenn etwa die Wien Holding ein solches Projekt umsetzen will. Damit ist meine Hausaufgabe erledigt.
Wie zufrieden sind Sie mit der Performance der Wien Holding bei solchen Projekten?
Ich glaube, Corona und die Inflation haben vieles erschwert. Und ich bin mir sicher, mein Kollege Peter Hanke wird das mit der Wien Holding gut über die Bühne bringen.
Apropos Peter Hanke: Er hielte den Verlust des Weltkulturerbes durch den Heumarkt als Wirtschaftsstadtrat für „keinen Beinbruch“. Sehen Sie das auch so?
Ich richte niemandem etwas über die Medien aus. Als Stadt haben wir immer versucht, eine friedliche Einigung mit der UNESCO zustande zu bringen. Ich halte das für möglich. Unser Welterbebeauftragter Ernst Woller ist da sehr bemüht.
Woller hat die UNESCO zuletzt beschimpft und ihr vorgeworfen, sie würde Wien „gängeln“. Hat er recht?
Ich gieße da kein Öl ins Feuer. Was mir in der Geschichte fehlt, ist der Hinweis, dass uns das Heumarkt-Projekt damals die Grünen eingebrockt haben. Wir sind wegen ihnen in dieser vertrackten Lage – und müssen den Gordischen Knoten nun lösen.
Auch beim Naschmarkt, wo Sie eine Neugestaltung planen, gibt es Verzögerungen.
Ja, leider. Aber der Naschmarkt ist ein sensibler Ort und es war richtig, noch ein paar Runden zu drehen, um alle Beteiligten abzuholen. Das Projekt, das realisiert wird, muss unangreifbar sein.
Sechs Projekte sind in der engeren Auswahl. Wird die umstrittene Halle gebaut?
Ich kenne die Projekte gar nicht, ich bin nicht in der Jury.
Vielleicht hat Ihnen zufällig jemand mal die Unterlagen gezeigt.
Nein, wir machen das ganz ordentlich.
Wenn ich nun behaupte, dass Sie eine Halle bauen – würden Sie mich korrigieren?
Ich will einen architektonischen Auftakt. Derzeit rinnt der Naschmarkt auf der hinteren Seite lieblos aus. Dort sind ein Parkplatz, ein Klo und das Marktamt. Ich würde sagen, das geht besser. Im Bereich, der derzeit ein Parkplatz ist, soll es keine Bebauung geben, da schaffen wir Grünraum, da soll der Flohmarkt stattfinden. In jenem Bereich, in dem der Bauernmarkt stattfindet, gibt es die Möglichkeit zur Bebauung. Und weil ich weiß, dass es da Ängste gibt, betone ich, dass der Bauernmarkt zu 100 Prozent erhalten bleibt.
Sie wohnen im 16. Bezirk, nahe des Brunnenmarkts. Haben Sie auch so Angst wie ÖVP-Chef Karl Mahrer?
Nein, das ist absurd. Wie Mahrer auf die Idee kommt, diese Menschen zu diskreditieren, verstehe ich nicht. Seine Behauptungen decken sich nicht mit den tatsächlichen Wahrnehmungen vor Ort.
Sie waren in der U-Kommission zur Wien Energie geladen.
Ich weiß nicht, warum man mich eingeladen hat. Ich bin seit dem Jahr 2020 nicht mehr zuständig.
Wie beurteilen Sie die Kommunikation der SPÖ an jenem Wochenende vor einem Jahr, als die Wien Energie in die Krise kam?
Die Lage war für alle Stromversorger kritisch, in anderen Ländern gab es Schutzschirme. Das hat der Bund
bei uns verabsäumt, stattdessen ist Finanzminister Magnus Brunner einem wichtigen Unternehmen im Fernsehen massiv in den Rücken gefallen. Das hat mich schockiert. Da hätte er die parteipolitische Brille abnehmen müssen.
Bürgermeister Michael Ludwig war in der Kommunikation mit den Bürgern tagelang verschollen.
Der Bürgermeister hat da keine operative Rolle, es gibt immer einen Zuständigen. Aber auch dazu richte ich nichts über die Medien aus. Es haben sich alle bemüht, in einer Krisensituation das Beste draus zu machen.
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