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Von 2016 bis 2019 nahm die Zahl der Straftaten, in die Kinder unter neun Jahre involviert waren, von 743 auf 1.034 zu. Bei den Älteren zwischen 14 und 17 Jahren gab es 2019 gar 33.705 Anzeigen. Besonders kriminell scheinen in den vergangenen zwei Jahren Kinder unter 14 in Wien gewesen zu sein: Die Straftaten stiegen in dieser Altersgruppe innerhalb eines Jahres um 26,5 Prozent an.
„Die häufigsten Delikte betreffen Suchtmittel, Eigentum und Gewalttaten“, erklärt Paul Eidenberger vom Bundeskriminalamt. Während die Anzeigen im Bereich der Jugendkriminalität anstiegen, sank die Zahl der tatsächlichen Verurteilungen.
Tatvideos in sozialen Medien
„Ich würde deshalb nicht sagen, dass die Jugendkriminalität zugenommen hat. Nur die Art und Weise, wie wir sie erleben, ist durch die sozialen Netzwerke heute viel drastischer“, schildert Daniel Potmesil, Jugendrichter am Landesgericht für Strafsachen in Wien. Bei Prügeleien würden viele Jugendliche wie selbstverständlich zum Handy greifen, ihre Tat filmen und ins Netz stellen.
„Auf Instagram und TikTok sieht man häufig Videos von Burschen aber auch Mädchen, auf denen sie andere mit Worten einschüchtern oder auch wirklich auf ihre Opfer losgehen. Instagram und TikTok sind da sicher die beliebtesten Kanäle“, erläutert Potmesil. Fälle von schlimmer Jugendgewalt habe es aber damals wie heute schon gegeben, betont der Jugendstrafrichter.
Jugendbanden-Struktur
Erst am Dienstag gelang es der Polizei in Wien, drei große Jugendbanden mit 65 Beschuldigten zu zerschlagen. Die Täter waren gerade einmal zwölf bis 17 Jahre alt. Sie sollen Unmündige vergewaltigt, Brände gelegt, Diebstähle begangen und Personen teils schwer verletzt haben. Die Jugendlichen sollen für 110 Straftaten verantwortlich sein.
Ist die Zerschlagung solch großer Gruppen ein geglückter Ausnahmefall? „Es gibt bei der Wiener Polizei keine Gruppe, die sich nur mit Delikten von Jugendlichen beschäftigt. Deshalb ist es schwer, zu sagen, wie häufig solche Ermittlungserfolge im Schnitt gelingen“, erklärt Polizeisprecherin Irina Steirer.
Auch allgemeine Aussagen über Bandenstrukturen seien schwer zu treffen, da Jugendbanden unterschiedliche Hierarchien aufweisen. „Bei den Jugendgruppen, die wir vergangene Woche zerschlagen haben, gab es keinen Chef. Die Jugendlichen haben in unterschiedlicher Zusammensetzung Straftaten verübt“, erklärt Steirer.
Affekthandlungen
Dass die Jugendkriminalität grundsätzlich zunehme, kann auch Ercan Nik Nafs von der Kinder- und Jugendanwaltschaft Wien nicht bestätigen. „Gerade Kinder und Jugendliche, die ohne soziales Netz und Sicherheit aufwachsen, sind sich ihrer Taten oft nicht bewusst, sondern handeln im Affekt. Oft aus einer großen Wut heraus“, schildert Nafs.
Die meisten Jungen kämen nur ein oder zweimal zur Beratung in die Kinder- und Jugendanwaltschaft. Auch die niedrige Rückfallquote bei jungen Straftätern spreche dafür, dass viele Jugendliche ihre Taten bereuen und nicht wiederholen.
„Ja, Kinder und Jugendliche können besonders in jungen Jahren schwere Fehler begehen. Die Antwort auf ihre Taten darf aber nicht sofort Gefängnis sein. Man sollte die außergerichtlichen Lösungen, wie Sozialstunden, viel stärker forcieren“, sagt der Experte.
Fakten
Nicht deliktfähig. Jugendliche unter 14 Jahren sind nicht deliktsfähig, also nicht strafbar. Sie können nicht angeklagt und auch nicht verurteilt werden
Verurteilungen. Im Jahr 2021 wurden 1.304 Personen zwischen 14 und 17 Jahren verurteilt, davon 1.129 Burschen und 175 Mädchen
Häufigste Delikte. Insgesamt wurden 2021 in Österreich 23.731 Personen verurteilt. 28,6 Prozent der Delikte bezogen sich auf fremdes Vermögen, gefolgt von Leib und Leben mit 17,3 Prozent und Drogen mit 17 Prozent
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