Spielen als Fulltime-Job

Spielen als Fulltime-Job
Kinder lernen beim Spielen. Die Kindergärten können den Anspruch, Bildungseinrichtungen zu sein, kaum erfüllen.

Der Knirps ist fünf Jahre alt. Was ihm am meisten im Kindergarten gefällt? "Erforschen", piepst Emir leise und schraubt sogleich bunte Plastikflaschen-Verschlüsse auf die passenden Gewinde, die auf einem Holzbrett fixiert sind. Zuvor hat Emir mit anderen ganz im Sinn mathematischer Früherziehung Minimath gespielt. Aus einem Stoffbeutel haben die Kinder Alltags-Gegenstände etwa eine CD, eine Kastanie, ein Holzplättchen gefischt, um danach die Form zu benennen. "Es geht darum, bekannten Dingen neue Begriffe zuzuordnen," erklärt Pädagogin Julia Albrecher. Sie ist seit 2006 Kindergarten-Pädagogin. Seither habe sich der Trend zur Bildung verstärkt. "Der Blickwinkel geht heute viel mehr in Richtung ,Stärken stärken', ,Schwächen schwächen'."

Albrecher beschreibt damit, was Kindergärten heute leisten müssten: Sie sollen elementare Bildungseinrichtung sein. Individuelle Potenziale sollen gefördert werden. Einen neuen Schwerpunkt gibt es seit Herbst 2010 durch die Kindergarten-Pflicht für alle 5-Jährigen. Seitdem sind mehr Kinder denn je in Kinderbetreuungseinrichtungen. Knapp mehr als 90 Prozent der Drei- bis Fünfjährigen werden außer Haus betreut. Bildungspläne geben vor, wie die Kleinen individuell dabei unterstützt werden sollen, Kompetenzen zu entwickeln - von sozialen Beziehungen und Gefühlen über Ethik, Kunst und Bewegung bis zu Natur und Technik. Gabriele Bäck vom Charlotte Bühler Institut für praxisorientierte Kleinkindforschung: "Es geht um Lernen im Spiel. Je früher sich ein Kind mit seinen Fähigkeiten vertraut macht, desto besser ist es."

15.000 Stunden

Spielforscher gehen davon aus, dass Kinder in den ersten sechs Lebensjahren 15.000 Stunden spielen. "Das sind acht Stunden pro Tag, das ist ein Fulltime-Job", übersetzt
Cornelia Wustmann, Österreichs erste Universitätsprofessorin für Elementar-Pädagogik. "Im Spiel können Kinder alles ausprobieren. Ihr Spiel ist selbstbestimmt, freudvoll, intensiv, mit Aufgaben, die sich selbst stellen oder, die sich von Erwachsenen abschauen - und es ist voller Wiederholungen. In einem Kindergarten mit optimalen Bedingungen gibt es für sie unglaublich viele Bildungsmöglichkeiten."
Doch bei optimalen Bedingungen für Personal und Kinder rangiert Österreich laut Experten im internationalen Vergleich eher hinten.

Die Hauptgründe dafür

Ausbildung: Neben Österreich absolvieren nur in Malta angehende Pädagogen keine Hochschule. Rund 50 Prozent des Personals, das in den Kindergärten arbeitet, sind Hilfskräfte.

Gruppengrößen: Bei Drei- bis Sechsjährigen sollte eine Pädagogin nicht mehr als sieben bis acht Kinder betreuen. Doch in vielen Gruppen steht 20 bis 25 Kindern nur eine Pädagogin zur Verfügung. "Die Bildungspläne sind sehr gut. Ein individueller Förderplan über alle Entwicklungsbereiche ist aber ein enormer Aufwand. Und wie soll das bei Gruppengrößen von zumindest 20 Kindern gehen?", fragt Entwicklungspsycholgin Pia Deimann von der Uni Wien. Der Dachverband der Kindergarten- und Hortpädagoginnen macht schon länger auf die Unzulänglichkeiten aufmerksam. Kritisiert wird, dass in Bildung für die Kleinsten zu wenig investiert wird. Raphaela Keller vom Dachverband: "Vielleicht müssten sich wie in den Schulen auch für Kindergärten die Eltern in einer Interessensgruppe organisieren, um für Druck auf die Politik zu sorgen."

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