Serie Endstation: Ausfahrt zu den Namenlosen

Die Stationsnamen Alberner Hafenzufahrtsstraße West, Alberner Hafenzufahrtsstraße sowie Neu Albern können die Trostlosigkeit dieser Gegend im Osten von Wien nur in Ansätzen beschreiben. Wer es wagt, weiter als bis zum „Einkaufsparadies huma eleven“ zu fahren, wird jedoch reich belohnt.






Erst müssen aber noch die Hochwasserexpositur Albern, das namenlose Grundversorgungsquartier der Diakonie (es hat kein Schild an der Tür), der namhafte Pferdehof Paradeiser (das mit Schild an der Tür: „Der Mensch nennt sich Freund, doch das Pferd ist es“), schmucklose Industrie- und Speditionsgebäude und einigen Gärtnereien passiert werden.
Es gibt nur wenige Menschen, die an einem Werktag gegen 11.30 Uhr im Bus 76A vom Enkplatz bis zur entrischen Endstation beim Alberner Hafen durchhalten. Genau genommen ist es im konkreten Autobus nur einer – der KURIER-Reporter.
In der Serie „Endstation“ fahren wir mit Bim oder Bus bis zur jeweiligen Endstation und halten fest, was es dort zu entdecken gibt. Alle bisher erschienenen Serienteile können Sie online nachlesen.

"Hafenkneipe" statt "Tschocherl"
Auch der Busfahrer hält durch. Das muss er aber auch. Für seinen Arbeitgeber, den Dr. Richard, fährt er um 5 Uhr vom südburgenländischen Güssing nach Wien und ab 16 Uhr wieder heim. Tagsüber entsendet ihn der Bus-Doktor in Wiens touristisches Outback.
Bitte keine Namen!
An Hinweisschildern, die auf den über Simmering hinaus bekannten Friedhof der Namenlosen erinnern, fehlt es nicht. Auf dem Weg dorthin sticht sofort die yellowsubmarin-gelbe Hafenkneipe ins Auge. Nicht wegen ihrer Farbe, mehr wegen ihrer Benennung. „Kneipen“ kennt man eher aus Hamburg. Dort weiß man indes nicht, was ein „Tschocherl“ ist.

Alltagsroutine zur Mittagszeit: Hafenarbeiter stärken sich gerade neben Lkw-Fahrern, als sich ein betagter weißer Ford Thunderbird, Baujahr 1962, auf der Hafenzufahrtsstraße langsam nähert.
Highnoon, bisserl Hollywood in Albern: Der Besitzer, älter als der US-Oldtimer, parkt den Benzin-Vogel wie in einem Western John Wayne sein Pferd. Bei Hascheehörnchen erzählt er, dass ihn dieses Modell schon als Kind bei einem Spaziergang mit seinem Opa fasziniert hat: „Der war mein Bubentraum, den ich mir jetzt endlich erfüllen konnte.“
„Mein Bubentraum“
Vor drei Monaten erst hat der Schwechater den Wagen im Angebot gesehen: „Jahrelang konnte ich ihn mir nicht leisten, heute freue ich mich sehr.“
Damit die Hörnchen nicht kalt werden, lassen wir den sympathischen älteren Herren in Ruhe fertig essen, fragen ihn auch gar nicht nach dem Namen. Apropos: Der Friedhof der Namenlosen will noch besichtigt werden.





Es geht erst am Alberner Hafenbecken und an den imposanten Getreidespeichern vorbei. Die mussten Kriegsgefangene der Nazis bauen. Das Terrorregime führte einen zynischen Plan aus: Sein Diebesgut aus den okkupierten Kornkammern Ost- und Südosteuropas sollte hier „für das Reich“ gelagert werden.
Heute werden auch Mais, Baustoffe und Stahlerzeugnisse umgeladen.






Namhafte Tote
Franz Müller (1874 bis 1906) wurde mit 32 ein Opfer der Donau. Seine Leiche wurde so wie die von Josefa Nowak (1860 bis 1930) bei Albern angeschwemmt. Anders als bei fast allen anderen ist ihr Name am Grab vermerkt.
Wasserleichen sind in der Tat kein schöner Anblick, ihre letzte Ruhestätte ist es hingegen schon. Hier lässt sich innehalten – jeder und jede im eigenen Film. Viel Zeit bleibt dafür nicht. Denn der höfliche Busfahrer aus Güssing kommt an einem Werktag um die Mittagszeit nur selten vorbei.
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