Schmerzengeld ist „beschämend“
Michaela Trost (Name geändert) ist auf einem Auge blind. Ein Arzt spritzte ihr gegen eine Entzündung Cortison – allerdings nicht unter den Augapfel, sondern direkt hinein. Würde nun Sie selbst über ihren Fall richten, wie hoch würde sie das Schmerzengeld ansetzen? Die 34-Jährige ist kurz sprachlos. „Pfuh, das ist eine schwierige Frage.“ Sie lehnt sich zurück, grübelt, und bittet um Bedenkzeit.
Ein Gericht hat bereits eine Antwort geliefert: 20.400 Euro bekam die Wienerin zugesprochen.
Wer hierzulande Persönlichkeitsrechte eines Prominenten verletzt, muss mit 10.000 Euro Geldstrafe rechnen. Wer bei einem fremdverschuldeten Unfall schwere Verletzungen erleidet, wird oft mit weniger abgespeist. Da drängt sich eine Frage unausweichlich auf: Ist das gerecht?
Ein Jurist würde einwenden, dass hier Äpfel mit Birnen verglichen werden: Im ersten Fall sei die Geldstrafe eine Sanktion, die präventiv abschrecken soll. Im Fall Nummer zwei würden Schmerzen mit Geld abgegolten, und es würde keine Strafe verhängt.
Reformbedarf mit "Augenmaß"
Anwalt Koch hält die gängige Praxis für abgehoben. Sie orientiere sich „an einem abstrakten Katalog, der mit dem realen Schmerzgeschehen nichts zu tun hat“.
"A Riesen-Pfusch" - Irreversibel
Das zeigt auch die Causa Trost: Der Arzt hatte die Spritze falsch angesetzt. „Ich habe sofort gesagt, ich sehe Flüssigkeit im Auge“, erzählt die Wienerin. Der Schmerz sei unerträglich gewesen. Sie sei dann von einem Pfleger in den Sitz gepresst worden, erfuhr erst in einer anderen Klinik, dass hier „a Riesen-Pfusch“ passiert sei. Irreversibel, sagten die Mediziner.
Wie wird nun ihr erlebter und zukünftiger Schmerz in Geld umgewandelt? Das Gesetz gibt dazu nichts her. Es ist ein „angemessenes Schmerzengeld“ zu bezahlen. Etabliert hat sich eine Praxis: Es wird eine Periode aus leichten, mittleren und schweren Schmerzen (siehe Bericht unten) von einem Sachverständigen ermittelt. Der Richter kann dann noch Dauerfolgen abgelten. In Summe kommen Beträge wie jene 20.400 Euro für eine einseitige Erblindung heraus. Koch spricht von der „Macht der Gutachter“: „Das kriegt man nicht mehr weg.“ Berufung – zumeist zwecklos.
Trost verdankt die Entschädigung einem Kunstgriff des Juristen: Denn er klagte nicht nur den – viel schwieriger zu beweisenden – Ärztefehler an, sondern die ausgebliebene Aufklärung über das Risiko zu erblinden.
Frappant ist eines: Richter und Gutachter bewegen sich – trotz unabhängiger Feststellung der Schmerzen – relativ stur in jenem rechtlichen Rahmen, den die „knausrige“ OGH-Judikatur vorgibt. Der OGH passt seine Sprüche zwar an, große Sprünge sind aber selten.
EU-Standards gefordert
„Prinzipiell bewegen wir uns in Österreich auf einem niedrigen Niveau“, sagt Kämmerer Wolff. Der Standesvertreter spricht sich klar für EU-weite, einheitliche Standards aus. Das legt seine Erfahrung nahe. In Italien erstritt der Advokat für zwei Österreicher, die bei einem Unfall jeweils einen Verwandten verloren hatten, je eine Million Euro. Vor einem heimischen Gericht musste er sich damit abfinden, dass eine Witwe, deren Mann auf einer Baustelle von einem Fenster erschlagen worden war, mit 3000 Euro heimgeschickt wurde.
Was Ruppert und Koch unisono ablehnen, sind „US-Verhältnisse“ und deren astronomische Entschädigungssummen. Zuletzt kam der Salzburger Getränkeriese Red Bull in die Schlagzeilen: Nach dem Herztod eines Arbeiters fordern Verwandte in den USA 62 Millionen Euro.
Michaela Trost kann nachts nicht Auto fahren, den Ball ihrer Tochter nicht immer fangen. Wie hoch würde sie als Richterin die Entschädigung ansetzen? „Vielleicht 250.000 Euro.“ Sie wolle nicht gierig erscheinen. „Aber die Schmerzen waren unerträglich. Und ich bin nun an einem Auge für immer blind.“
Im § 1325 des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches ist nur von einem „angemessenen Schmerzengeld“ die Rede. In der Praxis hat sich ein System etabliert, in dem Schmerzperi- oden definiert werden. Kriterien dafür sind Dauer und Intensität der Schmerzen sowie deren Auswirkungen. Für jeden einzelnen Fall wird (stundenweise) ermittelt, wie lange der Geschädigte schwache, mittlere oder starke Schmerzen (gehabt) hat. Für jede Kategorie wird ein eigener Tagsatz herangezogen: Im Sprengel des OLG Wien werden leichte Schmerzen mit 100 Euro, mittlere mit 200 und schwere mit 300 Euro abgegolten. Das kann unter den Sprengeln variieren: Im OLG Linz gibt es für starke Schmerzen bis zu 360 Euro.
Wem steht wie viel zu? Diese Frage lässt sich im Grunde genommen nur anhand von Einzelfällen beantworten. Diese sind allerdings immer eine Art Richtschnur für ähnlich gelagerte Schmerzengeld-Zahlungen. Das bisher höchste Schmerzengeld, das in Österreich je bezahlt wurde, erhielt ein 21-jähriges Unfallopfer aus Oberösterreich: Der Oberste Gerichtshof (OGH) sprach dem jungen Mann 218.000 Euro zu. Den Unfall hatte ein Betrunkener, der als Geisterfahrer unterwegs war, verursacht. Der 21-Jährige ist seitdem querschnittgelähmt und muss bis an sein Lebensende künstlich beatmet werden. Im niederösterreichischen Hainburg wird ein 17-Jähriger ins Wachkoma geprügelt. Die jungen Täter fassten Haftstrafen aus. Das Opfer, das völlig bewegungslos ist und nur mehr mit den Augen zwinkern kann, erhielt 50.000 Euro Schmerzengeld.
Für seine drei Kinder und seine Ehefrau, die bei einem Unfall ums Leben kamen, machte ein Witwer Trauerschmerz geltend. Er galt als depressiv und berufsunfähig. Das Gericht sprach ihm 65.000 Euro zu. Nicht nur Trauer, auch ein Schock kann Schmerzengeld-Ansprüche begründen. Wie bei jenem Mann, dem die Nachricht von den schweren Verletzung seiner Frau einen seelischen Schaden zufügte. Der OGH sprach ihm 10.000 Euro zu.
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