Spitzen-Hotelierin Gürtler: "Ich wusste, ich muss ganz weg“

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Elisabeth Gürtler über Demenz, Schokolade, Einsamkeit, Arbeit, ihr eigenes Projekt in Seefeld und warum sie sich aus dem Hotel Sacher samt seiner Dependancen zurückgezogen hat.

Diese Frau ist Perfektionistin: Elisabeth Gürtler stürmt mit dem KURIER durch die Gänge des Sacher und bückt sich nach einem winzigen Papier, um es aufzuheben und wegzuschmeißen.

KURIER: Warum waren Sie an einem Buch über Demenz beteiligt?

Elisabeth Gürtler: Bei meinen Gesprächen mit Johannes Huber habe ihn einmal gefragt: „Mir fallen manchmal Namen nicht ein. Werde ich dement?“ Er meinte, Demenz werde die Krankheit der Zukunft und fand, dass man darüber ein Buch machen könnte. Aber ich bin darin eher das Testimonial, alles Wissenschaftliche kommt von ihm.

Sie befolgen Hubers Ratschläge, zum Beispiel das Intervallfasten.

Ja, Dinner-Cancelling mache ich, sofern ich nicht eingeladen bin.

Sind Sie eigentlich auch manchmal undiszipliniert?

Ich war es bei Schokolade und konnte eine ganze Tafel wie nichts aufessen. Mittlerweile weiß ich, dass so viel Zucker diverse Alterskrankheiten, auch Demenz, begünstigt.

Angst vor dem Altwerden?

Ich habe Angst davor, auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein.

In Österreich geht man im Schnitt mit 62 in Pension. Sie arbeiten noch mit 70 plus. Wenn ich am Freitag auf Ö3 jubeln höre, dass jetzt endlich wieder das Wochenende kommt, dann wundere ich mich. Ist Arbeit so schrecklich? Ich glaube, Arbeit muss ein wichtiger Fixpunkt im Leben sein. Mit Aufgaben konfrontiert zu werden und sich mit Neuem auseinandersetzen zu müssen, schützt außerdem sicher vor Demenz.

Elisabeth Gürtler

2015 haben Sie Ihren Kindern das Hotel Sacher übergeben. Wie schwierig war das Loslassen?

Ganz schwierig! Von meiner Heirat 1973 bis zu meiner Scheidung 1983 war ich im Hotel. Mein Mann war danach noch zweimal verheiratet. 1990, nach seinem Tod, habe ich das Hotel 25 Jahre lang allein geführt. Ich habe mich so sehr identifiziert mit diesem Haus, dass ich es fast als Beleidigung betrachtet habe, wenn jemand etwas ändern wollte. Aber noch wichtiger war mir das gute Verhältnis zur nächsten Generation. Daher wusste ich, ich muss ganz weg und habe mir eine neue Aufgabe gesucht.

Sie haben dann das ehemalige Hotel Astoria Ihrer Eltern komplett modernisiert und das Alpin Resort Sacher daraus geformt. War das eine Rückkehr zu Ihren Wurzeln? Ich war all meine Ferien dort und habe schöne Erinnerungen daran. Ich habe es aber eher als Chance gesehen, mich einem anderen Projekt zu widmen und mich dadurch im Sacher nicht mehr einzumischen.

Sie sind sehr wienerisch, haben Sie auch eine Tiroler Seite?

Ich würde sagen Nein. Ich werde mit meiner Art zu sprechen immer sofort als Wienerin erkannt, obwohl ich in Tirol mittlerweile einige gute Freunde habe.

Im Hotel setzen Sie einen Gesundheitsschwerpunkt. Ein Trend?

Ja. Bei uns kann man Gesundheit und Genuss miteinander verbinden. Eine Ärztin ermöglicht das durch eine ganzheitliche Betrachtung, diverse Analysen und ein personalisiertes Programm. Der Zeitaufwand für das medizinische Programm liegt bei circa zwei Stunden am Tag und gibt auch Anleitung für einen veränderten Lebensstil.

Wie schwer finden Sie Mitarbeiter für das Hotel?

Wir finden fast keine österreichischen Stubenfrauen und Kellner mehr. Da sind wir auf Mitarbeiter aus dem Osten und Arbeitsgenehmigungen für Nicht-EU-Mitarbeiter angewiesen. Wir haben zum Beispiel mit dem Wirtschaftsministerium ein kleines Versuchsprojekt mit Indonesien. Die jungen Leute kommen zu uns für ein halbes bis ein Jahr, den Flug bezahlen wir. Sie werden in Indonesien ausgebildet, sind voll Engagement und immer freundlich. Wir brauchen noch mehr solcher Projekte!

Ist es nicht pervers, bei steigender Arbeitslosigkeit Leute aus dem Ausland zu holen?

Wer in Wien arbeitslos wird, kann nicht gezwungen werden, nach Tirol zu gehen. Vielleicht wird man mehr bereit sein, die Komfortzone zu verlassen, wenn die Arbeitslosigkeit noch weiter steigt.

Touristenschlangen vor dem Café Sacher oder dem Central schrecken Einheimische ab. Überrannt zu werden: Fluch oder Segen?

In Österreich ist der Overtourism noch nicht angekommen. Ich glaube, die Wiener freuen sich, dass Wien attraktiv ist. In Tirol ist das schon ein bisschen problematischer, weil das Thema Verkehr bereits mit großen Aggressionen verbunden ist. Da ist eine Grenze erreicht.

Zum ausführlichen Gespräch mit Hôtelière Elisabeth Gürtler

Sind Sie manchmal einsam? Vor zehn Jahren ist Ihr zweiter Mann Helmut Lohner gestorben.

Das war – genau in dem Augenblick, wo ich das Hotel an die Kinder übergeben wollte – eine schreckliche Zeit. Vielleicht arbeite ich auch deshalb weiter, um den Kindern nicht zur Last zu fallen. Weil ich aber so viel arbeite und so oft in Tirol bin, pflege ich meine Freundschaften zu wenig. Man ist einsam, aber ich kenne kein Rezept, um das alles zu verbinden.

Haben Sie als Opernball-Lady und Direktorin der Hofreitschule die Wiener Intrige kennengelernt?

Beim Opernball ist es eher die Eitelkeit: Wer bekommt welche Loge, wer sitzt daneben. Die Hofreitschule hat sicher mit Intrigen zu tun, gerade weil das ein kleines Unternehmen mit einem geschlossenen Kreis von Reitern ist. Da spielt sich schon vieles ab, was nicht ausgedrückt wird, wo etwas anderes vorgeschoben wird, und dann kommt noch das Thema Geldknappheit dazu.

Wie sehr ist Ihnen der seinerzeitige Operndirektor Ioan Holender auf die Nerven gegangen, der den Ball nicht mochte?

Ich glaube, dass alle Operndirektoren den Opernball als etwas empfinden, was sich mit Kunst und Kultur nicht ganz vereinen lässt, auch wenn sie das dabei eingenommene Geld gerne nehmen. Holender war ein fantastischer Operndirektor und ist ein hochintelligenter Mensch.

Sie verzeihen ihm also?

Ich verzeihe ihm natürlich, auch wenn er manchmal explizit anderer Meinung war. Wir waren immer gut miteinander.

Elisabeth Gürtler

Sie sind immer top gekleidet. Wie wichtig ist Mode für Sie?

Ich bin nicht modisch. Kleidung ist für mich Ausdruck der eigenen Persönlichkeit und ein Experiment. Ich liebe es, Dinge zu mischen, gebe nichts weg und kombiniere 50 Jahre alte Stücke mit anderen Sachen.

Wie viel Modernisierung verträgt ein Hotel wie das Sacher?

Die Grundfrage ist: Was ist erhaltenswert, und was nur ein Ausfluss einer Zeit? Etwa das Thema Farbe: Als ich ins Sacher kam, gab es bunte Badezimmer – blau, grün, rot. Heute ein No Go. Das habe ich geändert, aber wahrscheinlich wird es in zehn Jahren wieder „in“ sein. Aber es geht auch um Verhaltensweisen: Ist es zeitgemäß, dass ein Kellner „Küss die Hand“ sagt? Wir sind der Inbegriff der Tradition, daher ist es bei uns gut. Manches muss man abschaffen, manches sogar besonders betonen, um eine Markenpersönlichkeit zu sein.

Elisabeth Gürtler

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