Richtertagung: Experten zeichneten düsteres Bild vom Maßnahmenvollzug
Ein düsteres Bild vom gegenwärtigen Zustand des Maßnahmenvollzugs haben Experten am Donnerstag im Rahmen eines dreitägigen Seminars der Fachgruppe Strafrecht der Richtervereinigung in St. Gilgen gezogen. Die Justiz fungiere in diesem Bereich als "Ausfallshaftung für das Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung", meinte Florian Engel von der Clearing- und Kompetenzstelle für den Maßnahmenvollzug im Justizministerium.
Die Anzahl der psychisch kranken Straftäter, die aufgrund ihrer Zurechnungsunfähigkeit bzw. Gefährlichkeit im Maßnahmenvollzug angehalten werden, hat sich in jüngster Vergangenheit um 20 Prozent erhöht. Laut Engel ist diese Steigerung "unmittelbar auf den Brunnenmarkt zurückzuführen". Im Mai 2016 hatte ein junger, paranoid schizophrener Mann in Wien-Ottakring eine Frau auf ihrem Weg zur Arbeit mit einer Eisenstange erschlagen. Seither steht der Maßnahmenvollzug "ein Stückerl mit dem Rücken zur Wand", sagte Engel. Es fehle an den Ressourcen, um die überproportional von den Gerichten Eingewiesenen entsprechend betreuen und behandeln zu können. Man sei "permanent am Improvisieren", berichtete Engel. Handlungsbedarf in Form zusätzlicher budgetärer Mittel sei dringend gegeben: "So wie bisher kann es nicht weitergehen."
In der auf Maßnahmenvollzug spezialisierten Justizanstalt Göllersdorf sind derzeit 137 Personen untergebracht, davon 124 Zurechnungsunfähige im Sinn des Paragraf 21 Absatz 1 StGB. "Das System ist mit den ständigen Einweisungen überlastet", erklärte Alexander Dvorak, der Leiter des psychiatrischen Dienstes in Göllersdorf. Dass in seiner Einrichtung für mehr als die Hälfte der Betroffenen Deutsch nicht die Muttersprache ist und unter ihnen etliche Asylwerber mit einem ungeklärten Aufenthaltsstatus sind bzw. einige überhaupt mit einem Aufenthaltsverbot belegt wurden, macht den Verantwortlichen besonders zu schaffen. In diesen Fällen ist aufgrund der Sprachbarriere eine Behandlung oftmals ebenso wenig möglich wie eine Entlassung, da eine Abschiebung an rechtlichen oder faktischen Gründen scheitert. In den Herkunftsländern vieler Betroffener gibt es schlicht keine Nachbetreuungseinrichtungen, in denen sie weiterbehandelt werden könnten.
Mit fehlenden Nachbetreuungseinrichtungen hat die Justiz aber auch in Österreich selbst zu kämpfen, wie Robert Stetter von der Forensischen Psychiatrie am Landesklinikum Amstetten-Mauer darlegte. In Niederösterreich wären solche schlicht nicht vorhanden. Dem pflichtete Dvorak bei. Ein Projekt, das sich um aus dem Maßnahmenvollzug Entlassene kümmern hätte sollen, sei in Niederösterreich "aus politischen Gründen in den Boden gestampft worden". Damit sei die Resozialisierung psychisch kranker Täter "nicht möglich".
Dabei ist im Maßnahmenvollzug vor allem eine Klientel verstärkt anzutreffen, die nicht unbedingt als "schwersterkrankt" gilt, wie Martin Kitzberger vom Forensischen Zentrum Asten erläuterte, das als Mustereinrichtung für diese Sonderform des Strafvollzugs gilt und wo im Moment 188 Personen untergebracht sind. Kitzberger beschrieb diese Gruppe als jung, impulsiv, mit dissozialen Zügen und einem Hang, alle verfügbaren Suchtmittel-Substanzen zu konsumieren, was dann zur Ausbildung einer Schizophrenie führt. Diese Betroffenen wolle man aus Sicherheitsgründen nicht auf der Straße haben, in weiterer Folge kämen sie wegen vergleichsweise geringer Vergehen wie Widerstand gegen die Staatsgewalt, gefährlicher Drohung oder schwerer Nötigung in die Maßnahme. "Dabei sind wir eigentlich auf die Reha von Schwerstkranken ausgerichtet", betonte Kitzberger.
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