Biochemie trifft Volksmedizin: Renée Schroeders Weg zur Kräuterhexe

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Renée Schroeder, bekannte Biochemikerin, hat auf Kräuter umgesattelt – das Forschen kann sie nicht lassen.

Renée Schroeder bückt sich auf der steilen Wiese zu einer kleinen, gelben, unscheinbaren Blüte hinunter. „Da ist sie“, sagt sie. „Blutwurz.“ Schroeder gräbt und rüttelt an der Wurzel. Diese ist tief im Boden verankert – hartnäckig und kostbar. 50 verschiedene Wirkstoffe wurden in ihr nachgewiesen. Schroeder zieht die Wurzel aus dem Boden und bricht sie auseinander. Innen leuchtet sie tiefrot.

Forscherin als Hexe

Die renommierte Biochemikerin ist heute Bäuerin – eine, die sich selbst als „Kräuterhexe“ bezeichnet. Forscherin und Hexe? Für sie kein Widerspruch. Hier, auf 1.100 Metern Höhe, hoch über Abtenau in Salzburg, am Leierhoffügt sich all das zusammen. 

Die Wurzel einer Blutwurz liegt auseinandergeschnitten auf einer Holzfläche. Sie leuchtet rot

Blutwurz auseinandergeschnitten. Gefunden und verarbeitet am Leierhof.

Jede Pflanze, die sie hier verarbeitet, ist handgepflückt. Und wissenschaftlich zerpflückt.  Denn Wissenschafterin, das wird Schroeder immer bleiben – auch wenn sie die Pension angetreten und das Stadt- und Universitätsleben weitgehend hinter sich gelassen hat. Jetzt also wilde Wiese. „Das war ein Zufall. So was fällt einem nicht ein“, sagt Schroeder und hält einen Spitzwegerich in den Händen. Die Grillen zirpen. 

Ihre Kinder hätten eine Hütte gesucht, damit die Enkelkinder auf dem Land aufwachsen. Dann sahen sie den verlassenen, verfallenen Leierhof.  So einen Ort mit Dachstein und Tennengebirge als Kulisse, den kann man schwer vergessen. Die Familie kaufte die Landwirtschaft und muss sie, so sieht es das Gesetz vor, bewirtschaften. Aber wie? „Mit Kühen und Schafen kann ich nicht. Als ich die Wiesen gesehen habe, war klar: Das wird ein Kräuterhof.“ Schroeder und ihr älterer Sohn besuchten die Landwirtschaftsschule in Hollabrunn, ließen den Hof neu aufbauen und begannen mit der Produktion von Tees, Seifen, Cremen.  

„Begonnen hat es mit der Schafgarbe“, sagt Schroeder. Ein Nachbar habe sie gefragt, ob er sie weiter bei ihr pflücken kann.  Unter einer Bedingung ließ sie das zu: „Er muss sagen, was er damit macht.“ Die Antwort: Eine Tinktur aus Korn zum Einreiben, Zähneputzen, Gurgeln. Schroeders Neugierde für die Kräuter war geweckt.  Sie wollte sie nicht nur verarbeiten, sie wollte die Wirksamkeit wissenschaftlich darstellen. 

"Keine Strafe Gottes"

„Ich will eine Brückenbauerin sein“, sagt sie. Zwischen Schul- und Komplementärmedizin.  In ihrem neuen Buch „Wie Wildkräuter wirken“ stellt sie Pflanzen, deren Inhaltsstoffe und Heilkräfte vor. Was die Wissenschaft dazu weiß, nimmt einen großen Teil ein. Rezepte für Cremen, Tinkturen und Tees finden sich auch darin. Genauso wie Geschichtliches. „Das Historische zeigt, dass der Mensch früh erkannt hat, dass Krankheit keine Strafe Gottes ist, sondern dass er  dagegen etwas tun kann.“ Achilles verwendete die Schafgarbe zur Wundheilung, die auch ihren lateinischen Namen von ihm bekam: Achillea millefolium. „Das ist die klinische Studie, die vor 3.000 Jahren begonnen wurde. Und jetzt erfahren wir, welche Wirkstoffe in den Pflanzen sind.“ Ein umgekehrter Weg im Vergleich zur modernen Wissenschaft, wo die klinische Studie den Schlusspunkt bildet.

Schroeder betritt ihren Arbeitsraum. Tiegel und Tinkturen stehen in den Regalen. Sie platziert den Spitzwegerich unter dem Mikroskop. 

Im Hintergrund sieht man ein Mikroskop. Davor sitzt Renée Schroeder.

Die Pflanzen im Details: Renée Schroeder will alles über sie wissen. 

Vergrößert wirkt er ein bisschen wie ein Alien. Einer, der etwa gegen juckende Gelsenstiche hilft. Einer von Schroeders Enkelkindern hat eigens dafür eine Salbe im Sortiment: „Poldis Spitzwegerichsalbe“.  Die Enkerl interessieren sich schon für die wilden Wiesen. „Oma, wenn du tot bist, mach ich die Kräuter“, sagt ein Bub zu seiner Großmutter. Schroeder lacht, wenn sie davon erzählt.

Die Kräuter können ein anstrengender Job sein - das Pflücken auf den steilen Wiesen, die Brennnesseln, die auch durch den Stoff hindurch zu spüren sind, Wind und Wetter.

Renée Schroeder geht auf einer steilen Wiese in die Knie, um Kräuter zu pflücken.

Renée Schroeder auf einer ihrer wilden Wiesen

Warum züchtet Schroeder die Pflanzen nicht? „Verhätschelte Kulturpflanzen produzieren wesentlich weniger Wirkstoffe als wild gewachsene“, schreibt sie ihn ihrem Buch. „Denn um in ihrer natürlichen Umgebung zu überleben und zu gedeihen, haben Wildpflanzen komplexe chemische Abwehrmechanismen entwickelt.“ Stress ist gut, in diesem Fall. 

Apropos Abwehrmechanismen

Wie ist Schroeder in Abtenau aufgenommen worden? „Ich habe schnell Anschluss gefunden“, sagt sie. Es habe Leute gegeben, die waren skeptisch. Der Tenor: Da kommt eine Wienerin macht einen Kräuterhof, was will die? „Aber die Neugierde ist stärker“, erzählt Schroeder. Sie ist beim Kräuternetzwerk,  und auch beim Wandermarkt mit dabei. Ihre Produkte sind im regionalen Treffpunkt und Geschäft  "Bauernbogen" zu finden. Es spricht sich herum, wenn etwas hilft. Brennnesseln gegen Akne etwa. Und so soll ein junger Mann zu einem Freund gesagt haben: „Geh zur Renée, hol dir einen Tee.“ 

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