Reife Semester an der Uni

Reife Semester an der Uni
Seniorenstudium: Wissenserwerb im dritten Lebensabschnitt hält jung. Generationenkonflikte stehen nicht auf dem Lehrplan.

Ich mag die russischen Lieder, die sind so herzerweichend." Seit ihrer Jugend schwärmt Eva Hain für Russland, von kyrillischen Buchstaben, von Moskau und St. Petersburg. Von der Uni hat sie nie geträumt. Jetzt hat die 62-jährige Oma im Hauptfach Slawistik belegt. Weil die Volkshochschulen in ihrer Nähe keine Russischkurse anboten, ist sie in die akademische Ausbildung gestolpert. "Studieren macht jung", sagt die lebenslustige Frau, die im dritten Lebensabschnitt mehr Bücher wälzt als je zuvor.

Rund 1950 Seniorstudenten gibt es derzeit an Österreichs öffentlichen Universitäten. 85 Prozent davon sind ordentliche Hörer, knapp die Hälfte Frauen.
Familie "Ich werde noch sechs Semester für mein Bakkalaureatsstudium brauchen. Ich studiere nicht auf Zeit, nicht auf den Titel, aber einen Abschluss will ich schaffen", sagt Hain. Nach vier Jahren Gymnasium war für die Tochter eines Maschinenschlossers und einer ungelernten Schneiderin Schluss mit Schule. Kein Verständnis für Englisch und Latein, kein Geld für Nachhilfe. Als sie 1973 einen Versicherungsmathematiker heiratet, spürt sie "großen Druck" aus der Akademikerfamilie. Doch der Versuch, die Reifeprüfung nachzuholen, scheitert. "Ich habe meine eigene Maturaarbeit gemacht", scherzt Hain. Ihre drei Kinder sind "Schlag auf Schlag" zur Welt gekommen.

Mittlerweile ist Hain in Pension, lebt allein in Wien und verbringt die meiste Zeit auf der Uni. "2010 hätte ich in einer Woche drei Prüfungen gehabt, da bin ich krank geworden. 2011 habe ich drei Prüfungen an einem Tag mit gutem Ergebnis abgelegt", erinnert sie sich an ihre Anfangsschwierigkeiten. Die Studienberechtigungsprüfung dagegen war keine Hürde, Schwellenangst nie Thema. Selbst der Umgang mit Internet und Computer gelang problemlos: Eines Tages musste ein Proseminar über die Lernplattform absolviert werden. "Ich habe junge Studenten angesprochen, die waren sehr hilfsbereit", erzählt die kontaktfreudige Frau mit Sinn für Esoterik.

Der Austausch mit den jungen Kollegen funktioniert auch im Uni-Alltag gut: "Die Jungen fragen, ob sie unsere Unterlagen kopieren dürfen, und wir, ob sie uns beim Computer helfen", beschreibt Hain. Man habe seine persönlichen Vorlieben ungeachtet des Alters. Und so etwas wie "Die Alte gehört hinaus" hat Hain noch nie gehört. Vielmehr profitieren Alt und Jung voneinander: "Ich gehe mit mehr Bedacht und System an den Lernstoff heran. Dafür habe ich mir die jugendliche Leichtigkeit für Prüfungen abgeschaut."

Mischung

Im Hörsaal bunt gemischt, in der Bibliothek Seite an Seite. "Nur für die Freizeitgestaltung bin ich nicht der richtige Jahrgang", ist sich Hain bewusst. Den verbringt auch die Pensionistin lieber auf Reisen, mit Freunden, ihren Kindern und Enkerln. Und beim Seniorenstammtisch. Ein Mal im Monat treffen die älteren Semester im Uni-Bräuhaus zusammen, tauschen sich fachlich aus, plaudern oder versuchen der Einsamkeit während der Diplomarbeit zu entkommen. Der Älteste am Stammtisch ist 84.

"Gefühlsmäßig lebe ich mit den Jungen mit. Ich esse bei McDonald's und trinke dunkles Bier", freut sich Hain über ein Stück zurückgewonnene Jugend: "Ich beweise mir aber auch, dass ich leistungs- und lernfähig bin. Darauf bin ich
stolz. Ich studiere, solange es mir Spaß macht. Vielleicht bis zum Doktorat." Ganz nach ihrem Motto: Neugierig bleiben!

Statistik: Hochschulbildung 60+

Alter Beinahe die Hälfte aller Studierenden 60+ sind zwischen 60 und 64 Jahre alt. Die 70+ an den Unis machen 17 Prozent aus, 6 Prozent sind älter als 75.

Standort Universitäten Wien, Salzburg, Innsbruck und Graz zählen zu den Unis mit den meisten Seniorstudenten.

Studium Die älteren Semester belegen bevorzugt geisteswissenschaftliche Fächer.

Abschluss Die Quote liegt bei rund 20 Prozent. Zirka 55 Prozent der Erstsemestrigen 60+ verfügen bereits über einen Studienabschluss, 30 Prozent der Abschlüsse sind Folgeabschlüsse.

Tipps: Gesunder Kraftstoff für die grauen Zellen

Ruhe und Tod sind Zwillingsbrüder", schreibt Margot Schmitz. In "Gedächtnis ohne Lücken" (Orac, 192 S., 22 €) gibt die Neurologin Tipps für ein fittes Gehirn.
Lernen Ständig etwas Neues dazulernen hält die grauen Zellen fit, Gehirntraining mit Ausdauer stärkt sie.
Kontakt Soziale Aktivitäten und intakte Beziehungen fördern die Denkleistung.
Fitness Ein Herz, das 30 Minuten pro Tag höher schlägt, schützt vor Demenz.
Ernährung Grüne Kost ist ein Muss für ein reges Hirn.
Gesundheit Liegen Gewicht, Cholesterin, Blutdruck und Blutzucker in der Norm, kann auch der Kopf auf Hochtouren arbeiten.
Entspannung Stress und Schlafstörungen führen in die Senilität.

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